Milizen und Mißtrauen

Vor seiner Verhaftung recherchierte Peter Böhm im kriegsgeschüttelten Osten des Kongo. Dies ist sein Bericht  ■ Aus Goma Peter Böhm

Was für ein Unterschied! Noch vor einem Jahr jubelten die Menschen in Goma, der Hauptstadt der ostkongolesischen Provinz Nord- Kivu, ihrem Präsidenten Laurent Kabila auf Veranstaltungen zu. Jetzt konnte er die Stadt nur unter extremen Sicherheitsvorkehrungen betreten. Die Straßen vom Flughafen ins Zentrum waren bei seinem Besuch weiträumig abgesperrt, alle Autos mußten von den Straßen verschwinden. Trotzdem mußten die Sicherheitskräfte, bevor der Präsident am Abend wieder abreiste, mehrere Attentatsversuche auf ihn vereiteln.

Ein Soldat versuchte am Flughafen, mit einem Raketenwerfer auf das Auto des Staatschefs zu schießen. Ein 13jähriger Junge wurde am Straßenrand mit einer Handgranate entdeckt, ein Zivilist mit einer Pistole wurde von Sicherheitskräften überwältigt und verprügelt. Außerdem ist sich ein Anwohner sicher, auf dem Gelände der ehemaligen Residenz Mobutus, wo sich Kabila aufhielt, einen Schußwechsel gehört zu haben. Sieben Männer hätten das Hau unmittelbar am Ufer des Kivu-Sees vom Wasser aus angegriffen. Zwei Angreifer seien getötet, der Rest am nächsten Tag nach Kinshasa geschafft worden.

Offizielle Stellungnahmen zu den Ereignissen gibt es nicht. Die Menschen in Goma sind sich aber einig, wer dafür verantwortlich war: die Tutsi! 1996/97 noch bildeten kongolesische Tutsi-Kämpfer, die sich gegen ihre Vertreibung durch ruandische Hutu wehrten, das Rückgrat der „Allianz Demokratischer Kräfte für die Befreiung des Kongo/Zaire“ (AFDL) unter Laurent Kabila. Inzwischen ist die Entfremdung groß.

Ruandas Tutsi-dominierte Armee geht nach wie vor auf eigene Faust gegen ruandische Hutu-Milizen vor, die sogenannte Interahamwe, die aus dem Kongo heraus in Ruanda Angriffe verüben, und zieht damit den Unmut der örtlichen Bevölkerung auf sich und auch auf die einheimischen Tutsi, die nun zunehmend wieder Angst um ihr Leben haben. Denn zugleich wächst der Verdacht, daß örtliche Stellen die Hutu-Milizen stillschweigend gewähren lassen. Viele Gesprächspartner in Goma erzählen wie selbstverständlich, daß die „Interahamwe“-Milizen in großen Kolonnen von mehreren tausend Menschen in der Nähe des Gemüsemarktes von Kibumba vorbeizögen, 20 Kilometer nördlich von Goma, wo sich einst die ruandischen Flüchtlingslager befanden.

Goma liegt in einer Kriegszone, wenngleich in Goma selbst kein Krieg herrscht. Die Militärpräsenz in der Stadt an der Grenze zu Ruanda ist groß, aber dient eher dem Transit: Es gibt nicht mehr so viele Wachen an Straßen oder Gebäuden wie während des Krieges von 1996/97, dafür aber rollen viele Armeelastwagen durch die Stadt. Auffällig sind die vielen neuen Lastwagen der Polizei – ein Geschenk aus China.

Die Straßen und Märkte sind belebt, ins Stadtzentrum sind wieder die Fluggesellschaften und Reisebüros eingezogen, auf dem Kivu-See herrscht regulärer Fährverkehr. Doch die Geschäftigkeit ist Fassade – innen sind alle Geschäftshäuser völlig heruntergekommen.

Zeichen von Spannung sind unverkennbar. Als an einem Markt plötzlich mehrere Schüsse fallen, flüchten sofort alle Marktfrauen mitsamt Waren und Ständen. Es stellt sich heraus, daß zwei Soldaten Streit hatten: Einer wollte des anderen Ausweis sehen, der anderen weigerte sich; der erste schoß in die Luft, der zweite schoß den ersten nieder. Sofort kommt die Militärpolizei.

Für weiße Ausländer sind alle Straßen aus der Stadt hinaus gesperrt. „Am liebsten würde ich meinen Kram zusammenpacken und nach Uganda gehen“, sagt ein deutscher Geschäftsmann. „Aber ich kriege meine Maschinen nicht hinaus, weil ich Ausführgebühren zahlen müßte, und heimlich geht es nicht. Dafür sind sie zu groß.“

Nachts sind die Straßen wie leergefegt. Vor allem nachts überqueren Soldaten aus Ruanda die nahe Grenze und gehen gegen diejenigen vor, die der Zusammenarbeit mit den „Interahamwe“ verdächtigt werden – vorrangig Hutu. „Die AFDL ist mit dem Versprechen angetreten, einen Rechtsstaat einzurichten“, schreibt sogar Henri de Paul, AFDL-Sekretär für die Provinz Nord-Kivu, in einem Bericht ans Innenministerium. „Die Glaubwürdigkeit unserer Bewegung wird durch die willkürlichen Verhaftungen der ruandischen Armee in Goma ernsthaft in Frage gestellt.“

Die kongolesische Menschenrechtsorganisation „Grande Vision“ befürchtet, daß einige der Festgenommenen heimlich hingerichtet werden. Nach einem Gerücht geschieht dies auf einem leeren Fabrikgelände in Gisenyi, der ruandischen Nachbarstaat Gomas direkt hinter der Grenze. Von mehr als zehn Mitgliedern einer Organisation von kongolesischen Hutu-Geschäftsleuten, die die „Interahamwe“ finanziell unterstützt haben sollen, fehlt jede Spur. Ihre Familien, die nach Goma gekommen sind, um sie in der Haft zu versorgen, können sie nicht finden: Sie sind alle Verhaftungsorte abgelaufen und haben die Wachen bestochen, um Kontakt zu ihren Angehörigen zu bekommen und ihnen Decken und Nahrung zu bringen, aber ohne Erfolg.

Der Krieg zwischen Ruandas Armee und Hutu-Milizen findet vor allem in der Region Masisi statt, rund 50 Kilometer westlich von Goma. 1993 waren dort erste ethnische Auseinandersetzungen ausgebrochen. Dadurch, daß sich nach 1994 in der Region um Goma die für den Völkermord in Ruanda mitverantwortliche ehemalige ruandische Regierungsarmee mit den Hutu-Milizen und über einer Million Hutu-Flüchtlingen niederließ, bekam der Konflikt eine weitere Dimension. Viele einheimischen Tutsi wurden vertrieben, was mit ein Auslöser dafür war, daß die kongolesischen Tutsi sich mit anderen Rebellengruppen und der neuen Regierung in Ruanda 1996 verbündeten und die AFDL unter Kabila entstand.

Zu Kriegsbeginn im Herbst 1996 kontrollierten die Hutu-Milizen fast die gesamte Masisi-Region. „In zwölf Ausbildungslagern wurden dort von Offizieren der ehemaligen ruandischen Regierungsarmee mindestens 60.000 Hutu-Flüchtlinge militärisch geschult“, weiß Kasusu, Präsident des Verbandes der Farmbesitzer in Masisi. Die ruandischen Hutu-Offiziere, die damals auf seiner im Dezember 1996 besetzten Farm lebten, hätten ihm ihre Kriegsziele beschrieben: Die Präfekturen Gisenyi und Ruhengeri im Nordwesten Ruandas besetzen und die ruandische Regierung an den Verhandlungstisch zwingen.

Während ihres Vormarsches durch Kongo 1996/97 umging die AFDL offenbar die Masisi-Region. Im Spätsommer 1997 erst begann die ruandische Armee, dort die Hutu-Milizen zu vertreiben. Einige Dörfer wurden niedergebrannt. Bis heute, berichten Augenzeugen, sind in Goma ruandische Hubschrauber zu sehen, die auf dem Weg nach Masisi die Stadt überfliegen. Die Hutu-Milizen sind nun offenbar nach Norden ausgewichen.

Wegen des andauernden Krieges ist die Repression gegen unabhängige Organisationen in Goma noch stärker als in anderen kongolesischen Städten. Alle Menschenrechtsorganisationen sind aufgelöst oder arbeiten im Verborgenen. Die Menschenrechtsgruppe „Grande Vision“ hat versucht, sich gemäß den neuen Bestimmungen amtlich registrieren zu lassen. Verhandlungen ergaben, daß dafür eine Gebühr von 50 US-Dollar fällig ist – eine Summe, über die die Organisation nicht verfügte und die daher ein verstecktes Verbot darstellte. Aktive Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und unabhängige Journalisten sind entweder geflohen oder im Untergrund. Es ist schwer, jemanden zu finden, der nicht schon einmal verhaftet, zu einem Verhör geladen oder bedroht wurde.

Die UN-Untersuchungskommission zur Aufklärung von Massakern während des Bürgerkrieges konnte nur wenige Tage in Goma arbeiten. Die Behörden verlangten, daß die Ermittler nur in Begleitung der Armee in die relevanten Gebiete fährt. Ein Überlebender eines Massakers in Masisi, bei dem die Interahamwe-Milizen im November 1997 mehr als 600 kongolesische Flüchtlinge niedermetzelten, ging zur UN-Gruppe, um es anzuzeigen.

Ein paar Tage später wurde er vom Geheimdienst vorgeladen. „Wahrscheinlich hat mich jemand hingehen sehen“, glaubt er. Geschehen sei ihm nichts. Aber im Geheimdienstgebäude traf er vertraute Gesichter: Andere Mitglieder seiner Menschenrechtsgruppe, in der er aktiv ist, waren ebenfalls zum Verhör geladen.