Nürnberg streitet um ein politisches Mahnmal

■ Der Freistaat Bayern will ein Denkmal für Flüchtlinge errichten. Überraschend? Nicht wirklich, denn gedacht wird nicht der Bosnier oder Algerier, sondern der vertriebenen Deutschen

Nürnberg (taz) – Ein Denkmal für Flucht und Vertreibung mitten in der historischen Altstadt von Nürnberg? Die CSU hält den Beschluß des bayerischen Kabinetts für einen „Gewinn“ für die Stadt. SPD, Grüne, der Verein der Altstadtfreunde und Vertreter der Kirchen halten den Vorschlag dagegen für „völlig verfehlt“.

Anfang Februar hatte Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und seine Ministerriege beschlossen, das „zentrale Denkmal Flucht und Vertreibung“ des Freistaats auf dem Nürnberger Hauptmarkt zu errichten. Die bayerische Staatsregierung, die sich als Schirmherr der Sudetendeutschen versteht und diese als „vierten Stamm“ Bayerns betrachtet, wollte dafür zunächst 300.000 Mark aus dem Etat für das Programm „Offensive Zukunft Bayern“ lockermachen. Inzwischen wurden die Mittel für diese Art der Zukunftsoffensive auf 700.000 Mark aufgestockt.

Möglichst umfassend soll das Denkmal auf dem prominentesten Platz der Stadt Leid und Verdienste der Vertriebenen würdigen. Entsprechend ist es der „Vertreibung, Aufbauleistung und Integration der Vertriebenen“ gewidmet. Doch mit dem Vorhaben stürzte das CSU-Kabinett erst einmal die eigenen Parteifreunde in Verlegenheit, allen voran Oberbürgermeister Ludwig Scholz und den Nürnberger CSU-Fraktionschef Clemens Gsell. Die beiden Kommunalpolitiker hatten zuvor nichts unversucht gelassen, aus dem Schatten der Nürnberger Vergangenheit herauszutreten. „Ich habe keine Lust mehr, die braune Geschichte meiner Stadt ständig auf meinen Schultern zu tragen“, hatte Gsell anläßlich der Hamburger Wanderausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“ erklärt. Wenig später machte dann die konservative Stadtratsmehrheit den KZ-Profiteur Karl Diehl zum Ehrenbürger und nahm dafür sogar in Kauf, daß zwei Mitglieder der Jury des „Internationalen Menschenrechtspreises“ bis zur Klärung der Vorwürfe gegen Diehl ihre Tätigkeit ruhen lassen. Jetzt also das Denkmal für Vertreibung, wo doch der „Tag der Heimat“ im Nürnberger Messezentrum schon des öfteren seine Heimat fand, der Sudetendeutschen Tag an Pfingsten sowieso und derzeit noch für drei Millionen Mark das „Haus der Heimat“ in Nürnberg gebaut wird.

Eilig fuhr die Stadtspitze also nach München, bekundete Zustimmung zum Denkmal, aber Ablehnung zum Hauptmarkt. Man wähnte den dort täglich stattfindenden Gemüsemarkt in Gefahr. Der Platz neben der altehrwürdigen Sebalduskirche sollte es statt dessen sein, meinte CSU-Chef Gsell. Der Verein der Altstadtfreunde, die sich um jede Butzenscheibe Sorgen machen und am liebsten alle Bäume, die den Blick auf die Burg versperren, sofort fällen würden, jaulte auf. Ein modernes Denkmal gleich neben der ältesten Pfarrkirche der Stadt, vor einem der eindrucksvollsten Patrizierhäuser und dem 600 Jahre alten Pfarrhof? „Völlig verfehlt“, lautet das Urteil. Und die Sozialdemokraten wollten das Denkmal am liebsten in die Trabantenstadt Langwasser aussiedeln.

Auch der Pfarrer von St. Sebald, Gerhard Schorr, machte sich seine Gedanken um Sinn und Unsinn eines solchen Denkmals. „Ich halte ein Denkmal dieses Inhalts an jeder Stelle der Stadt für deplaziert“, betonte Schorr. Die Vertreibung sei „die Folge des mörderischen Kriegspolitik des Naziregimes“ gewesen. Nürnberg als „Stadt der Reichsparteitage und der Rassegesetze“ täte besser daran, ein „Mahn- und Sühnemal“ zu errichten, das an die „Vertreibung und Deportation der jüdischen Bürger im Lauf der Jahrhunderte erinnert“.

An die Reichsparteitage wollte Clemens Gsell aber gerade nicht erinnert werden. Der CSU-Fraktionschef hält die Vertreibung für „eine der größten Tragödien in der deutschen Geschichte“, deswegen sollte daran auch „an einem zentralen Ort in der Innenstadt“ erinnert werden. Der Stadtrat muß nun darüber entscheiden. Bernd Siegler