Teespitzen

Stephan Reimertz' Buch Vom Genuß des Tees (Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998, 207 Seiten, 49,90 Mark) bietet eine kenntnisreiche wie vergnügliche Kulturgeschichte des Tees. Angefangen bei der Legende vom chinesischen Kaiser Shen Nong, der im Jahr 2737 vor Christus per Zufall den Tee erfunden haben soll, über Marcel Prousts ästhetische Epiphanien bei Madeleine-Gebäck und Lindenblütentee bis zu Nicolaus Sombarts Teesalon der Jetztzeit kreist bei Reimertz alles um Tee als Stimulans für den ästhetischen Diskurs.

Hierbei weiß er selbst über Entlegenstes zu berichten. Etwa über den französischen Lyriker, Romancier und Dramatiker François Barecheville, der nur unter der Wirkung von drei Kannen Tee von der Muse geküßt wurde, aber trotz enormen Teekonsums nie eine Zeile zu Papier brachte. „Damals, im Paris der Commune, war das eine ganz ungewöhnliche Marotte.“

Nebenbei erfährt man Wissenswertes über die Kunst des zweiten Aufgusses, über die Hintergründe der Boston Tea Party und das Vermarktungskonzept der „Teekampagne“. Auch die Frage, was in welcher Region der Welt alles in Tee aufgelöst wird (Kandis, Milch, Konfitüre, selbst Fleisch), kommt zu ihrem Recht.

Der liebevoll und geschmackvoll gestaltete Band ist zwar teuer, empfiehlt sich aber allen Freunden des Exzentrischen und des gestochenen Bonmots: „Für den Tee gilt dasselbe wie für junge Dichter: Je gebrochener, desto besser.“ RK