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Nur ein Getränk feiner Leute?

Tee ist ein Getränk, an dem sich die Geister scheiden: Was den einen als Heißwasser ohne Geschmack gilt, versetzt andere in meditative Verzückung. Wird der Teegenuß nämlich zum Zeremoniell erhoben, ist die Vorstellungskraft gefordert. Dann geht es nicht nur um den richtigen Aufguß, sondern auch um Fragen der Haltung und Ästhetik. Rund um den Tee hat sich eine ganze Kultur entwickelt, die für Außenstehende nicht immer leicht nachzuvollziehen ist. Daß passionierte Teeconnaisseurs scheel beäugt werden,nehmen diese mit feinsinnigem Humor gerne in Kauf. Ein Essay  ■ von Reinhard Krause

Teetrinken läßt sich nicht erlernen. Wer als Heranwachsender keine Affinität zum Tee entdeckt, wird diesem Getränk ein Leben lang verständnislos gegenüberstehen. Tee, wird ein solcher Teeverächter sich sagen, ist parfümierte Plörre ohne Pep und ohne Wirkung. Oder, wie schon die unvergleichliche Liselotte von der Pfalz am Hofe ihres Schwagers, des Sonnenkönigs Ludwig XIV., murrte: „Thee kommbt mir vor wie Heu und Mist, mon Dieu, wie kann sowas Bitteres und Stinkendes erfreuen?“ Jeder Teetrinker weiß um diese Verachtung und sagt sich: Wer Tee trinkt, ist anders und stört sich nicht an der Unwissenheit der Welt.

Dabei ist Tee natürlich keineswegs gleich Tee. Einmal abgesehen von Kräuter-, Früchte- und Eistees – die hier nicht interessieren sollen – gibt es grünen Tee und schwarzen; es gibt Assams und Darjeelings, Golden Flowery Broken Orange Pekoes und Fannings.

Ausschlaggebend ist – wie stets – einzig und allein der persönliche Geschmack. Und der ist bisweilen ein recht wunderlicher Gebieter. Vor Jahren etwa reiste ich nach Moskau, wo das Hotelpersonal zum Empfang einen famosen Nachmittagstee reichte. Selten zuvor trank ich besseren. Golden stand er in der Tasse, wohltuend weckte er die Lebensgeister. Zudem besaß er ein feines Aroma. Gerade seine dezent stumpfe Unternote machte ihn unwiderstehlich. Welche Verfeinerung!

Und welche Überraschung, als ich beim Zähneputzen feststellte, daß das Wasser aus der Leitung nahezu identisch, also fast ebenso gut, genauso muffig schmeckte! Andere Länder – anderes Wasser.

Niemand weiß das besser als Elisabeth II., die im Ruf steht, auf Reisen nicht nur ihr persönliches Teenecessaire mit sich zu führen, sondern auch ihr königliches Tafelwasser. Nur so ist die kluge Frau vor unliebsamen Überraschungen wirklich gefeit. Well done, möchte man ihr zurufen, denn selbst dort – oder soll man sagen: vor allem dort, wo die „goldenen Teeregeln“ beherzigt werden, lauern Gefahren.

Deutsche Tee-Importeure etwa empfehlen gerne eine Zubereitungsmethode, mit der andere Leute ihren Kaffee brauen: Man dosiere, so ihr nicht ganz uneigennütziger Rat, pro Tasse einen Teelöffel Schwarztee. Was sie hingegen gerne verschweigen, ist die Anzahl der Kannen heißen Wassers, die es braucht, um den so entstandenen Sud unbeschadet konsumieren zu können. Tatsächlich genügen für einen Liter Tee bei den meisten Schwarztees zwei gehäufte Teelöffel.

Das komplette Programm der kultivierten Teezubereitung sieht zwei Portionen kochenden Wassers vor. Mit der ersten wird ein sogenanntes Umgießgefäß erhitzt, in das anschließend der – selbstverständlich lose – Tee gegeben wird. Die nächste Ladung frischen Wassers sollte kurz und sprudelnd kochen und anschließend zügig über die Teeblätter gegossen werden. Nach zwei bis fünf Minuten wird der fertige Tee durch ein Teesieb in die eigentliche Teekanne umgefüllt. Ein Vorwärmen der Teekanne ist freigestellt.

Selbstverständlich kann man akzeptablen Tee auch einfacher haben. Nicht jeden Morgen hat man Lust und Muße, zwei Töpfe Wasser zu kochen. Das eigentlich Ästhetische des Teetrinkens liegt aber im Zeremoniell. Und das beginnt bereits bei der Wahl des Teegeschirrs.

Wie der Tee selbst nicht von zusätzlichen Ingredienzen – Kirsch- oder ähnliche Aromen, Rahm, Marmelade, Zucker – übertrumpft werden darf, so sollte auch das Geschirr keinen aufdringlichen Dekor besitzen. Auch „witzige“ Kannenformen wird sich der Teefreund strikt verbitten: Teetrinken soll nicht nur der Zerstreuung dienen, sondern auch der inneren Sammlung.

Ob das Teegeschirr aus Porzellan, Keramik oder aus Glas gearbeitet ist, hat auf den Geschmack des Tees wenig Einfluß. Kulturgeschichtlich durchgesetzt hat sich jedoch die halbkugelige oder flache Teetasse. In der höheren und schmaleren Kaffeetasse wird die Temperatur des Getränks besser erhalten. Da vorschriftsmäßig zubereiteter Tee heißer ist als Kaffee, kann man sich an Tee aus Kaffeetassen gründlich verbrühen.

A propos: Mit jeder neuen Asienwelle wird auch die henkellose Teeschale wieder propagiert. Bislang jedoch vergebens. Jede mitteleuropäische Töpferin, die Gebrauchsgeschirr herstellt, kann berichten, daß der Siegeszug der Teeschale am stummen, aber unerbittlichen Widerstand der Männer scheitert. Männer, wird sie lächelnd anmerken, mögen nur Trinkgefäße mit Henkel.

In ihrer Begeisterung für funktionelles Design können Männer allerdings auch Ausdauer entwickeln, bis sie eine elegante Teetasse gefunden haben, deren Henkelöffnung für den Zeigefinger groß genug ist. Bisweilen landen sie so bei der Schildkrötensuppentasse der Königlichen Porzellan Manufaktur Berlin.

Das mag man prätentiös finden. Aber warum auch nicht. Auch bei einem fortgeschrittenen Teezeremoniell geht es um die feinen Unterschiede. Tee zu trinken ist eine Absetzbewegung aus der weniger zivilisierten Alltagswelt: Tee hebt.

Den größten Aufwand bei der Zubereitung von Tee betreiben die Japaner. Bei der japanischen Teezeremonie ist jedes Detail, jede Handbewegung und jedes Accessoir formelhaft festgelegt und von ritueller Bedeutung. So weit wird es der abendländisch aufgewachsene Teefreund in der Regel nicht kommen lassen wollen. Der Dandy etwa empfindet gerade durch die Einhaltung kultureller Verfeinerungscodes eine desto größere, spielerische Freude an kleinen Regelverstößen. Ein schönes Beispiel für diese mehr okzidentale Balance von Sophistication, Teegenuß und Ironie gab der Brite Boy George: Als in den achtziger Jahren das Medieninteresse an seiner Homosexualität überhandnahm, fand er zu der Formel: „Ich ziehe dem Sex eine gute Tasse Tee vor.“

Im kaffeeversessenen Deutschland sind solche Äußerungen undenkbar. Ein einziges Mal in diesem Jahrhundert erreichte auch hier der Tee Kultcharakter: In den siebziger Jahren wurde er – quasi im Nachklang des Hippietums – zu einer Art Glaubensbekenntnis einer antikonformistischen Jugend. Schüler hockten plötzlich auf staubigen Pausenhöfen herum und trafen sich nachmittags reihum zu Räucherstäbchen und Jasmintee, den sie in Indienshops mit obskuren Namen wie „Bum Shanka“ gekauft hatten.

Mädchen vom Ponyhof bevorzugten Erdbeer- oder Lakritztee, während politisch denkende Jünglinge in den ersten Dritte-Welt-Läden zu Rauchtees wie Lapsang Souchong griffen. Die schmeckten derart penetrant nach angesengten Elektroschnüren, daß sich die Umweltprobleme der Herkunftsländer geradezu erschmecken ließen. Bei der Elterngeneration löste diese Mode den erwarteten Effekt aus – eine milde Form von Ratlosigkeit. Heute können die meisten dieser ehemaligen Protesttrinker ihre einstige Passion für Jasmintee selbst nicht mehr begreifen und sind längst zum Kaffee rekonvertiert. „Bum Shanka“ mußte darüber Konkurs anmelden.

Der Tee ist wieder das, was er immer war – ein Getränk mit dem Nimbus des Speziellen. Immerhin: Ansätze zu einer Teeliteratur gibt es auch in Deutschland. Gabriele Wohmann etwa hat in ihrer Erzählung „Treibjagd“ den Graben zwischen einem Kaffeetrinker und einer Teetrinkerin ausgelotet: „Als sie zu der Kellnerin ,Für mich Tee, bitte' sagte, zog Panter die Augenbrauen hoch. Tee? Piekfein. Wieso? Das wußte er auch nicht.“

Als Kavalier alter Schule nötigt der in Teefragen ganz unbelastete Herr Panter seiner schüchtern protestierenden Tischdame auch noch Apfelkuchen mit Sahne auf – eine gewagte Kombination zum Tee! Beim anschließenden Waldspaziergang stellen sich prompt Koliken ein: „Bergabgehen gab ihr den Rest. Dergleichen war ihr noch nie zugestoßen. So ähnlich mußten Geburtswehen sein, auch nicht viel schmerzhafter und längst nicht so beschämend. Sie konnte Panter nicht mehr zuhören. Was jetzt bald passierte, wäre das Ungeheuerlichste zwischen einem Mann und einer Frau, die etwas ganz anderes miteinander vorhatten.“

Nun mögen Teetrinker weltfremd sein, ihre Einübung in distanzierte Selbstbetrachtung gestattet ihnen jedoch auch, manche Situation durch Haltung zu meistern: „Mir ist schlecht. Das konnte doch jeder sagen. Übergeben war doch etwas absolut Manierliches, war es nicht fast romantisch und ein bißchen Fin de siècle?“ Das wäre einem Kaffeetrinker nie eingefallen.

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