Sonntags die Kantate

■ Ein Konzert erinnert an Bachs Leipziger Arbeitspensum und einen Verwandten

Johann Sebastian Bach führte die Kantate „Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen“ des Meiniger Kantors und Kapellmeisters Johann Ludwig Bach – einem weit entfernten Verwandten – in Leipzig auf. Man kann also davon ausgehen, daß er von der Komposition etwas hielt. Selten hat der Konzerthörer heute die Möglichkeit, Werke der Gattung Kantate kennenzulernen, die nicht von Johann Sebastian sind: von daher ist es Wolfgang Helbich zu danken, daß er diese „Ausgrabung“ dem Publikum vorstellte.

Tatsächlich ist in diesem Werk – verglichen eben mit Johann Sebastian Bach, der mehr mit Solo-Arien arbeitet – der Einsatz der vielen Solo-Ensembles interessant. Streicher und Bläser nehmen eine deutlich inhaltliche Symbolik ein: so zu Anfang, wenn ein tiefer Streicherliegeklang das Grab Jesu zu zeichnen scheint und die Trompeten dann fanfarenartig die Auferstehung anzeigen. Auch musikalische Formen verblüffen regelrecht: so das Fehlen von instrumentalen Nachspielen oder der Abschlußchoral, der eher ein differenzierter Chorsatz denn ein einfacher Choral ist. Trotzdem muß man, um derartiges genießen zu können, ein bißchen in der Materie sein; ganz von allein will sich ein Johann Ludwig Bach nicht mehr vermitteln.

Das gilt allerdings auch für einiges von Bach, der nicht nur ein genialer Komponist war, sondern eben auch in harten Arbeitsverhältnissen stand, die ihn in Leipzig zwangen, fünf Jahre lang sonntäglich eine neue Kantate abzuliefern – wohlgemerkt einschließlich der Arbeit des Einzustudierens. Daß er da auf schon Vorhandenes zurückgriff und mit neuen Texten unterlegte, konnte nicht ausbleiben, und es konnte auch nicht ausbleiben, daß nicht alles gleichermaßen gut ist.

So war hier einmal der „Durchschnitts“-Bach zu hören, nämlich mit der Kantate „Freue Dich, erlöste Schar“, deren weltliche Vorlage eine Glückwunschkantate ist, und dem Himmelfahrtsoratorium „Lobet Gott in seinen Reichen“, das sich verschiedenen Vorlagen verdankt. Daß es trotzdem in diesen „Parodien“, wie man das Verfahren nannte, vom Ausdruck her „richtige“ Musik gibt, liegt daran, daß die Bach'sche Musik immer einen Grundaffekt hat – wie Trauer, Freude, Angst – , und der ist natürlich mit dem neuen Text identisch oder zumindest ähnlich.

In diesem Sinne boten die Kammersinfonie und mehr noch der Domchor unter Wolfgang Helbich eine affektreiche, klangschöne und rhetorisch dichte Wiedergabe im gut besuchten Dom. Ute Frühhaber, Ulrike Bartsch, Harry Geraerts und Gotthold Schwarz waren die SolistInnen: Leider saß ich in einem solch akustischen Loch, daß mich oft nur schöne Fragmente ihrer Leistungen erreichten. usl