Liegt Rottweil im Mittleren Westen?

■ Die Gruppe Lubricat bringt mit „Ambitious Soap“ den speziellen „Small town/bad guy“-Mief des amerikanischen Traums auf die Bühne

Im fröhlichen Teil Amerikas trägt man die schöne bunte Warenwelt als kreischendes Muster auf dem Hemd, strahlt in die Menge und plappert unverdrossen drauflos: wo man aufgewachsen ist, wie man sich als klingelnder Postman fühlt, von der Lust auf fremde Tortenstücke und von der Gleichgültigkeit gegenüber dem heraufdämmernden Jahrtausend.

Ryan Hills American Boy ist in der neuesten Inszenierung des Lubricat ein nur mäßig komischer Pausenclown; doch weht mit dem modisch mikrobärtigen Strahlemann ein Hauch amerikanischer Vorstadtenge in die Sophiensäle. Aus diesem speziellen Mief sind auch die Filme geboren, die „Ambitious Soap“ als Vorlage dienten: „The Killing auf a Chinese Bookie“ von John Cassavetes, David Lynchs „Blue Velvet“ und Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“.

Drei Jahrzehnte Amerika, gesehen durch die dunkle Brille von drei der prominentesten „bad guys“ des US-Kinos, sind unter der Regie von Dirk Cieslak zu einem dreiteiligen Bühnenstückchen geronnen: Im ersten Teil mit dem Titel „Kleine Liebe“ geht es vermeintlich um die große; doch deren Pathos wird durch die Gegenüberstellung von verbaler Hitze und unterkühlter Statik effektvoll demontiert. Während die Stimmen affektiert um den Siedepunkt kreisen, bleiben die Körper starr. Nur die Hände und Finger klopfen, zupfen, wippen und tippen, ein hoher Absatz stößt in die Luft, und Armin Dallapiccolas Beine flirten heimlich mit denen seines Stuhls. Als „sehr speziell“, „sehr stilvoll“ und überhaupt voll und ganz „toll“ lobt er seine Partnerin. Doch was sich gemeinhin Liebe oder Verlangen nennt, wird als die nach außen gestülpte Lust an der eigenen Unwiderstehlichkeit entlarvt. Nach dem Motto: Ich bin so geil, weil ich so geil bin.

„Boy meets Girl“ – so der Untertitel der Produktion – erweist sich als leeres Versprechen: Die Paare der 70er, 80er und 90er Jahre sind eitle oder brutale Autisten, die in ihrem eigenen Universum kreisen. Dies wird dort aufs schönste deutlich, wo das Lubricat seiner alten Strategie treu bleibt, stets den direkten Weg zu meiden und das Rätsel zu suchen: Wo Sex ein gegenseitiges oder selbstvergessenes Saugen am Zeigefinger, ein gewalttätig-fahriges Streicheln über den Bauch oder ein forscher Griff an die fremde Nase ist, halten sich Direktheit und Geheimnis in etwa die Waage. Im zweiten Teil jedoch verwässert manch erklärender Kommentar die ambitionierte „Soap“ zur „Soup“, als wäre Dallapiccolas unablässig „Fick“ schreiendes Dennis-Hopper-Imitat nicht eindeutig genug.

In den Achtzigern, mit „Blue Velvet“, haben Worte und Taten in der unheiligen Einheit von Fluch und Gewalt zusammengefunden. Liebe gibt es nur noch als Hoffnung. In den Neunzigern ist die Liebe tot, und sogar „Wiese fickt Baum“ – so der Titel des dritten Teils – erscheint wie ein romantischer Gedanke aus einer versunkenen Welt. Tarantinos „Profis“, die das Rumpeln lieben, wenn sie über Leichen fahren, sind im Lubricat präzise tanzende Maschinen. Ihre „große Idee vom Glück“? Endlich auch mal erzählen dürfen, wo man herkommt: Der amerikanische Sonnyboy kam aus irgendeinem Kaff im Mittleren Westen, die coole Killerin kommt aus „Rottweil an der Weinstraße“. Sabine Leucht

„Ambitious Soap“, bis 24. und vom 28. bis 31. Mai, 21 Uhr, im Hochzeitssaal der Sophiensäle, Sophienstr. 18