■ Die deutsche Kommunistenfurcht speist sich aus dem Kalten Krieg, deshalb gibt die PDS nicht mehr her, was sich die CDU von ihr verspricht
: Das Phantom, das aus der Kälte kam

In früheren Zeiten schloß der Besuch Ost-Berlins das preiswerte Vergnügen ein, mit der Zeitmaschine in längst vergessene Epochen der deutschen Geschichte zu reisen. Einen vergleichbaren Kick kann sich jeder holen, der dieser Tage die christdemokratische Konrad-Adenauer-Agitpropzentrale für den Wahlkampf 1998 betritt. Eine Folterkammer mit den Marterwerkzeugen der 50er Jahre! Aber in welch elendem Zustand befinden sich Rad, spanischer Reiter und Zangen, jene einst furchterregenden Instrumente für die Erzeugung des großen antikommunistischen Zähneklapperns. Und mit welcher Unlust werden sie – erste Stufe des peinlichen Verhörs – von den Folterknechten vorgezeigt.

Die ihr hier Slogans fabriziert, laßt alle Hoffnung fahren! Dieser Meinung hat sich selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung angeschlossen, an deren Depression man sich dieser Tage einfach weiden muß. Gut, von den Herren Scharnagel und Gauweiler ist keine neue, zündende Invektive, kein durchschlagender Verleumdungsfeldzug zum drohenden Untergang Deutschlands im Gefolge der Magdeburger „Ereignisse“ zu erwarten. Aber Arnold Vaatz, der ostdeutsche Hoffnungsträger? Seiner Meinung nach soll die PDS verfassungsfeindlich sein, weil die SED die Ökonomie Ostdeutschlands ruiniert hat. Innerhalb nur einer Fernsehstunde hat der Mensch alles intellektuelle Renommee eingebüßt, ein schöner Erfolg für Sabine Christiansen. Oder Kurt Biedenkopf, der zum Bremer Parteitag zwangsverpflichtete, der das Ende der Solidarität mit Ostdeutschland heraufbeschwört, falls die PDS in weiteren der neuen Bundesländern von der SPD zur Duldung herangezogen würde?

Jeder Werbestratege beschwört die CDU/CSU, sich darauf zu beschränken, das eigene, leuchtende Image zu zeigen. Die Politikprofessoren werden nicht müde, auf die verheerenden Ergebnisse der letzten „Rote-Socken-Kampagne“ hinzuweisen. Woher dieses schier unstillbare Bedürfnis nach der Beschwörung von Teufeln oder wenigstens Unterteufeln? Tiefsitzende Sehnsucht nach der heilen, bipolaren Welt, nach dem funktionierenden Feindbild? Oder einfach nur Lust am effektvollen Untergang?

Wer jemals eins dieser „Kommunistische Plattform“ betitelten Kaffeekränzchen besucht hat, weiß, was es mit der Gefährlichkeit dieser Umstürzler auf sich hat. Sahra Wagenknechts letztes Wort zum Sozialismus besteht in Walter Ulbrichts „Neuem Ökonomischen System der Planung und Lenkung“, einem matten Abklatsch der damaligen Reformideen aus Prag. Und in der Provinz ist man bei Jürgen Habermas' „Theorie des kommunikativen Handelns“ angelangt. Wie sollen diese mißvergnügten Kleinvereine, deren Kraft nicht mal für Erstellung und Verteilung von Flugblättern ausreicht, den hohen Erwartungen der Christdemokraten gerecht werden? Gewiß, die DDR erscheint heute vielen Mitgliedern der PDS im milden Abendlicht. Aber nicht mal diese kleine Freude läßt ihnen die Führung. Sie quält die Aktivisten mit immer neuen Traktaten über die Untaten der realsozialistischen Regime einschließlich der SED.

In den fünfziger Jahren gab es wenigstens noch das KPD-Programm zur „nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ und das Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats als Fernziel. Aber die Große Furcht von damals, die sich so trefflich ausbeuten ließ, war niemals das Produkt solcher theoretischen Anstrengungen seitens der KPD gewesen. Diese Furcht speiste sich aus der internationalen Konstellation, aus der Existenz eines tyrannischen Systems in der Sowjetunion. Bedrohlich war dieses Regime allerdings in erster Linie für die eigene, der realsozialistischen Gewalt unterworfene Bevölkerung und für die Satellitenstaaten, die das System von Jalta ihrem Einflußbereich anheimgegeben hatte.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihres Hegemonialbereichs ist den Phantasmen kommunistischer Weltherrschaftspläne der Nährboden entzogen. In den fünfziger Jahren konnte der Supreme Court der USA mit seiner Theorie von der „clear and present danger“ des Weltkommunismus noch die verfassungswidrigen Gesetze gegen das Häuflein der Kommunisten zwischen New York und Hollywood legitimieren. Das Verbotsurteil unseres Verfassungsgerichts gegen die KPD bewegte sich in diesem Rahmen. Im Eifer des Gefechts wurden damals Leute eingebuchtet, deren Ehrgeiz vor dem Verbotsurteil sich in dem selbstironischen Wunsch erschöpft hatte, Direktor des Münchner Schlachthofs zu werden.

Aber heute? Die PDS ist gegen Bosnien-Einsätze der Bundeswehr, gegen den Euro. Nebbich. Jospin neutralisiert solche und weit größere Dummheiten der Kommunistischen Partei Frankreichs – horribile dictu! – im Rahmen einer Koalitionsregierung. Aus dieser dünnen Suppe läßt sich auch in Deutschland keine antikommunistische Kraftbrühe mehr destillieren.

Tatsächlich existiert in Ostdeutschland ein „PDS-Syndrom“, dessen Symptome sich umschreiben lassen mit autoritärer Staatsfixiertheit, der Bereitschaft, individuelle Freiheitsrechte hintanzusetzen gegenüber wirklichen oder vermeintlichen Ansprüchen sozialer Sicherung, der Sehnsucht nach geschlossenen Milieus, die sich schlecht mit dem von der Führung propagierten Multikulturalismus vereinbaren läßt. Dieses Syndrom aufzulösen ist eine gesellschaftliche Aufgabe von langer Dauer. Die christdemokratische Mobilisierung ist hier offensichtlich kontraproduktiv, sie vertieft die Spaltung. Gleiches droht allerdings von einer allzu offensichtlichen, pädagogischen Haltung der SPD gegenüber PDS-Mitgliedern. Wo Duldung in Kauf genommen, wo koaliert wird, geht's in erster Linie um das Geschäft des Regierens. Den Rest wird die Zeit besorgen, der alte Maulwurf.

Bleibt der Angriff auf Rechtsstaat und politische Kultur durch die Unionskampagne. Schon jetzt hat Theo Waigel die Reste seiner juristischen Ausbildung verdrängt, wenn er die PDS als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet. Die Parteieigenschaft der PDS ist unstrittig, aber offensichtlich hält Waigel den verfassungsmäßig vorgeschriebenen Gang nach Karlsruhe zwecks Verbotsurteil für zu beschwerlich. Parteienprivileg der Verfassung? Nie gehört. Aber was soll's – für die „Solidarität der Demokraten“ war das Grundgesetz schon immer ein zu beschwerliches Accessoire, „um es ständig mit sich rumzutragen“ (Hermann Höcherl, einst CSU-Innenminister). Christian Semler