Hongkongs blutleere Wahlen

Die demokratischen Parteien rechnen trotz verbreiteter Apathie mit der Rückkehr ins Parlament. Die Bedrohung politischer Freiheiten ist kein großes Thema  ■ Aus Hongkong Sven Hansen

Zwei als Batman und Robin verkleidete Männer versuchen, die Aufmerksamkeit der Passanten vor der McDonald's Filiale in Hunghom auf der Halbinsel Kowloon auf die Herren Ip Kwok- chung und Tsang Yok-sing zu lenken. Die beiden Männer in roten Poloshirts sind Kandidaten der Peking-nahen „Demokratischen Allianz für die Verbesserung Hongkongs“. Batman und sein Wahlhelfer halten riesige rote Plastikhände mit der Zahl „5“ hoch, die Liste, auf der Ip und Tsang bei den ersten Parlamentswahlen in Hongkong unter chinesischer Hoheit kandidieren. Der Auftritt der beiden Kandidaten in dieser heißen Phase des Wahlkampfs läßt das Publikum ziemlich kalt. Nur ein kleiner Junge läuft erschrocken vor dem maskierten Robin im rotschwarzen Kostüm weg, als ihm dieser seine Hand reichen möchte.

Auch Hongkongs Regierung versucht angestrengt, die Bevölkerung zum Wählen zu bewegen. Mit rund 18 Millionen Mark liegen die Ausgaben für die Werbung zur Wahlteilnahme doppelt so hoch wie bei den letzten Wahlen 1995. Die Wahlen seien „Fair, offen, ehrlich“, behaupten überall in der Stadt Plakate und Transparente. Doch trotz halbstündlicher Werbespots mit Filmstars zur besten Fernsehzeit ist in Hongkong das Interesse an den ersten pluralistischen Wahlen unter chinesischer Hoheit gering. „Die Menschen in Hongkong sind nicht blöd. Egal ob und wen sie wählen, die Mehrheit der Sitze wird an Peking-nahe Politiker und Geschäftsleute gehen“, sagt der Sozialarbeiter Ho Hei Wah. „Die Bevölkerung darf mitmachen, kann das System aber nicht beeinflussen.“ Noch nie durften die Menschen in Hongkong ihre Regierung im demokratischen Sinne frei wählen: früher war es London, seit dem 1. Juli 1997 setzt Peking ihnen die Regierung vor.

Morgen entscheiden sie über die Zusammensetzung des Parlaments, das die Regierung kontrollieren soll. Doch nur ein Drittel der Sitze wird in allgemeinen und direkten Wahlen vergeben. „Die Regeln sind weder fair noch demokratisch“, meint Emily Lau. Die Politikerin der Demokratiebewegung kämpft im Wahlkreis New Territories East mit guten Chancen um den Wiedereinzug in den Legislativrat, den sie nach der Rückgabe Hongkongs an China verlassen mußte.

Auch der Peking-freundliche Anwalt Ambrose Lau, der in zahlreichen Gremien der Volksrepublik sitzt, bewirbt sich um einen der zehn Sitze, die von einem 800köpfigen Wahlkomitee vergeben werden. Seine konservative „Progressive Allianz“ kandidiert in keinem der Wahlkreise mit direkten Wahlen. „Wir wissen, daß wir gegen die Kandidaten der Demokratischen Partei keine Chance hätten“, so Lau unverblümt. Statt dessen bewirbt sich seine Partei nur um Mandate, die vom chinafreundlichen Wahlkomitee und den Berufsgruppen vergeben werden (siehe Kasten).

Trotz steigender Arbeitslosigkeit mangelt es an kontroversen Wahlkampfthemen. „Die Parteiprogramme sind dünn und unterscheiden sich kaum. Alle sorgen sich um die Rentner, wollen mehr Wohnungen bauen und mehr Jobs schaffen, aber konkret wird niemand“, klagt Sozialarbeiter Ho.

Auch eine mögliche Bedrohung politischer und persönlicher Freiheiten durch Peking ist zur Zeit kein großes Thema.

Zwar hat Chinas Regierung ihre Leute strategisch in Hongkongs Politik und Gesellschaft plaziert. Doch aus dem Alltag der Sonderverwaltungsregion hält sich Peking bisher weitgehend heraus und respektiert die versprochene Autonomie. Bisher wurden gewohnte Freiheiten jedenfalls eher von lokalen Politikern bedroht als von Peking.

Im Alltag macht sich der Souveränitätswechsel ohnehin kaum bemerkbar. Für miese Stimmung sorgt viel eher der Fall der Aktien- und Immobilienwerte und die negativen Auswirkungen der Asienkrise. Nach jüngsten Umfragen vom „Hong Kong Transition Project“ der Baptist University machen sich 63 Prozent der Befragten in Hongkong wirtschaftliche Sorgen, aber nur 12 Prozent fürchten um ihre persönliche Freiheit. Dagegen sind heute zwei Drittel der Befragten mit der Hongkong-Politik der chinesischen Regierung zufrieden. Im Juni 1997 war es nur knapp die Hälfte.

Hongkongs Parteien der Demokratiebewegung wollen die Wahlen jetzt trotz des unfairen Systems als Abstimmung für eine stärkere Demokratisierung nutzen. Einen von radikalen Gruppen geforderten Wahlboykott lehnen sie ab. „Wenn wir boykottieren, werden überhaupt keine prodemokratischen Stimmen im Legislativrat sein. Doch die Bevölkerung will, daß wir im Parlament für sie kämpfen“, sagt Emily Lau. Christine Loh von der Bürgerpartei fügt hinzu: „Das Thema Demokratie ist noch lange nicht erledigt. Denn wir haben immer noch kein demokratisches System.“