Aufgepatzte Farben – Lakonie der Fotos

■ Die Bremer Kunsthalle zeigt zarte Aquarelle und wuchtige Fotos aus einem italienverzückten 19. Jahrhundert

Eine ganz liebliche Ausstellung, Refugium für triste Maien-Sonntage. In der Bremer Kunsthalle kann sich der Romantiker an eine kleine Italienreise machen, kann in den unendlich wohlproportionierten Räumlichkeiten des Kupferstichkabinetts frischen Mutes von Venedig nach Neapel springen und sich vom Forum Romanum mit ein paar schnellen Schritten ins pralle Genre-Leben der „Mackaroniesser“ und Schalmeienspieler wegmachen. Doch auch, wer dem flotten Wohlleben abhold eher auf die kostbaren Subtilitäten von Bildungsreisen schwört, überlasse sich vertrauensvoll dem Parcours der Ausstellung „Im Lande der Sehnsucht“...und ziehe mit Deutschlands toten Künstlern, die sich vor 150 Jahren zu Hauf nach Italien aufmachten, über Venedig nach Rom, weiter in die Campagna und manchmal bis ins ferne Reich des Empedokles, nach Sizilien.

Meist Männer natürlich waren das damals, auf den Spuren des Halbgottes aus Weimar und träumend von einem wiedererweckten Abendland. Oft Maler, die ihre letzten Taler zusammenkratzten und dem Sirenengesang vom dolce vita in Rom – Deutschlands größter Malerkolonie – folgten, wo sie mit kleinen Aquarellen den Touristenmarkt bedienten. Selbstbildungsreisen allesamt; das Nepal des späten 20. Jahrhunderts hieß zu Beginn des 19. Jahrhunderts Neapel. Lustig war das anzusehen, schreibt Ludwig Richter, wie seine Kollegen da zu Hauf durch die Campagna zogen und der Natur mit Bleistift und Sonnenschirm ihren künstlerischen Nährwert abkupferten.

Leicht war die französische Konkurrenz erkennbar; die brauchte für ihre Freilichtstudien riesige Kästen mit einer ungeheuren Quantität von Farbe, „welche mit großen Borstenpinseln halb fingersdick aufgepatzt wurde“. Der deutsche Maler hingegen hockte mit hart gespitztem Bleistift im Grünen und verliebt sich „in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig“. In den Studien der Ernst Fries und Friedrich Preller, Friedrich Nerly (von dem die Kunsthalle den halben Nachlaß besitzt) findet man diese Detailversessenheit. Ihre Aquarelle hingegen prägte eher der fernschweifende Blick über die Weiten der Serpentara. Das ästhetische Manifest dafür formulierte die Berliner Romantikerin Dorothea Schlegel anläßlich ihrer Visiten im fernen Italien: „Der Strom des Lichts ist dermaßen verklärend, daß man ganz entfernte Gegenstände wie nah bei sich sieht.“

Das war 1818. Ein paar Jahre später gab es eine technische Revolution, die mit ihren „Lichtbildern“ der Verklärung den Garaus machen konnte. In der Ausstellung des Kupferstichkabinetts sieht man das. Die heißt nämlich im Untertitel „Mit Bleistift und Kamera durch Italien – 1820 bis 1880“.

Damit wird die Italienreise in der Bremer Kunsthalle mit einem ganz entzückenden Sprenklersatz versehen, der in das Bildungserlebnis die erfrischende Lust am Denken einführt. Neben den 73 Zeichnungen aus der Malerkolonie (bzw. aus den Archiven des Bremer Kupferstichkabinetts und der Städtischen Kunsthalle Mannheim) sind in bunter Mischung und kluger Parallelisierung noch 71 Daguerreo- und Kalotypien zumeist italienischer und britischer Fotografen (aus der Privatsammlung des Münchners Dietmar Siegert) zu sehen.

Ganz harmonisch erzählen die von einem freundlichen Miteinander der Künste. Christine Hopfengart übrigens auch. Die Kustorin im Bremer Kupferstichkabinett hat einen Namensvetter unter den deutschen Italiensüchtigen und sieht die Ausstellung als Start ihres Kabinetts in eine nun auch fotografische Epoche. Sie berichtet (beispielsweise am morgigen Dienstag um 18 Uhr in ihrer Führung durch die Ausstellung) von zahlreichen Malerfotografen, die den Wechsel der Genres mit großer Neugierde vollzogen. Übrigens auch zurück – wie Domenico Bresolin, der mit seinen wuchtigen Architekturfotos aus Venedig zu den ziselierten Zeichnungen Friedrich Nerlys ein erfrischend materiales Gegenbild der Lagunenstadt entwirft. Nur zehn Jahre lang wird er sich, bevor er eine Professur als Landschaftsmaler annimmt, professionell der Kalotypie widmen: einem Fotoverfahren, das auf der körnigen Oberfläche von Salzpapieren mit seinen weichen Schattenläufen malerischen Geschmacksnormen huldigte.

Sozial führte die Erfindung der Fotografie dazu, daß in Rom jede Menge neuer Studios entstanden und viele Künstler in existenzielle Schwierigkeiten gerieten. Ästhetisch ordnete sich das neue Handwerk den alten Künsten unter – bis hin zum ovalen Bildformat. Wie jede soziale und technische Revolution hielt sich auch die fotografische ans Hergebrachte, wenn es um Oberflächengestaltung ging. Insbesondere die Genreszenen, die selbst hinter die Detailtreue der Zeichnungen weit zurückfallen. Doch ist das nicht zuletzt technischen Mängeln geschuldet: Erst in den Sechziger Jahrendes 19. Jahrhunderts wurden Belichtungszeiten von weniger als einer Minute erreicht. Das hatte auch was für sich. Der Realismus-Effekt von Genre und Medium – die Hirten am Berghang, die Pfifferari mit ihrer Schalmei, Gondolieri und Weinkarren – findet auf diese Weise einen schönen Kontrapunkt in den hochartifiziellen Figurenkompositionen: Rom – nichts als eine große Bühne des wahren Lebens.

Heute noch nachvollziehbar ist andererseits der atemberaubende Schock des unbedingt Neuen, wenn das Dunkel-Hell der Zypresse auf Giacomo Canevas Foto Friedrich Prellers Zypressen-Zeichnung daneben zerschmettert. Oder die fast schon futuristische Modernität der Brückenfotos Gioacchino Altobellis; die lakonischen Porträts zivilisatorischer Emulsionen in den Landschaftsfotos James Andersons. Witsch, schon ist der ganze elende Kitsch des Italienromantizismus einfach wegfegt. ritz