Analyse
: Per Bombe los von Rom

■ Staatsanwalt in Italien ermittelt jetzt doch noch gegen führende Mafiosi

Experten hatten die These bereits 1993 erwogen, doch dann war alles in dem durch Schmiergeldermittlungen verursachten Zusammenbruch der bis dahin herrschenden Parteien untergegangen: Die blutige Anschlagserie der sizilianischen Mafia 1992/93 hatte als Hintergrund einen Plan zur Abspaltung Siziliens von Rest-Italien. Die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Palermo gegen zwei Dutzend Personen, die das Projekt „Los-von-Rom“ mit Hilfe von Dynamit vorangetrieben haben sollen, geht jedenfalls in diese Richtung. Vor Gericht sollen neben dem damaligen Oberhaupt aller Mafia-Clans, Toto Riina, auch der Logenmeister des illegalen rechtsorientierten Geheimbunds „Propaganda 2“, Licio Gelli, und der früher als rechtsterroristischer Bombenleger verdächtigte Stefano Delle Chiaie, dem auch enge Kontakte zu den Geheimdiensten nachgesagt werden.

Im Mai 1992 wurde auf Sizilien der frühere Chefankläger der Mafiaprozesse, Giovanni Falcone, mit seiner Frau und Eskortebeamten durch eine 500-Kilo-Bombe ermordet, zwei Monate danach erwischte die Mafia seinen Nachfolger Paolo Borsellino. Dann verlagerten sich die Anschläge in den Norden: In Rom, Mailand und Florenz wurde berühmte Sehenswürdigkeiten und Museen durch Anschlage schwer beschädigt, es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Die „mafiose“ Handschrift war schnell klar – der benutzte Sprengstoff war derselbe wie bei den Attentaten auf die Mafiajäger.

Erste Interpretationen gingen davon aus, daß die Mafia mit den Anschlägen auf dem Festland von Sizilien ablenken wollten. Offenbar aber hatten sie anderes im Sinn. Sie wollten massive Aversionen gegen Sizilien schüren, so daß Rom am Ende froh sein sollte, wenn es die Insel „los bekam“. Politisch unterstützten die Mafia-Clans daher bei Wahlen auch sogenannte „Südligen“, die sich den Plan der norditalienischen Separatisten, Italien dreizuteilen, zu eigen machten.

Für die Mafiosi war die Abspalteridee verführerisch. War die Insel einmal unabhängig, würde Italien die inzwischen zahlreichen verurteilten Bosse bald abschieben. Dann wollten sie die Insel zu einem Steuerparadies und zur Geldwäsche-Anstalt für alle Welt zu machen. Doch Italiens Politik reagierte andersherum: Sie schickte 7.000 Mann Militär auf die Insel. Nach wenigen Monaten saßen auch die bis dahin unantastbaren Bosse nahezu allesamt hinter Gittern.

Da stellt sich nun eine neue Frage: War den Regierenden schon damals klar, worauf die Mafia abzielte, und was die Justiz erst heute ermittelt hat? Wurde die Mafia nur deshalb ernsthaft angegangen, weil man wußte, daß mit einem geteilten Italien der vor allem vom Kapital erwünschte Beitritt zum Vereinigten Moneten-Europa vollends unmöglich geworden wäre? Werner Raith