Das rechte Auge ist nicht blind

■ Ingrid Müller-Münch hat acht Reportagen über Rechtsradikale vor Gericht geschrieben, dichte Milieustudien und detaillierte Porträts, die nicht in die gewohnten Klischees verfallen

Der rechte Terror gegen in Deutschland lebende Ausländer nimmt wieder zu. Nachdem Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund drei Jahre lang kontinuierlich zurückgegangen sind, stieg die Zahl der registrierten Fälle im Jahr 1997 um knapp 34 Prozent an.

In dieser Situation kommt ein Buch gerade recht, das sich mit der justitiellen „Verarbeitung“ der seit Anfang der 90er Jahre begangenen spektakulären Straftaten aus dem rechten Milieu befaßt. Die Autorin, Ingrid Müller-Münch, Korrespondentin der Frankfurter Rundschau und Mitarbeiterin des WDR, ist eine kundige Gerichtsreporterin; eine Vielzahl der einschlägigen Prozesse hat sie in der Vergangenheit journalistisch begleitet. In gebündelter Form zeichnet sie in ihrem neuen Buch am Beispiel von acht Prozessen ein genaues Bild von den zumeist jugendlichen Tätern und ihren Richtern. Dabei sind ihre dichten Milieustudien gelungene und treffende Charakterisierungen von Gerichten und Ermittlungsbehörden. Gut lesbare, detailgetreue Porträts, die den Umgang der Justiz mit rechtsradikalen Tätern erhellen, ohne im Sumpf linker Klischees zu versacken.

Leider scheint der Werbeabteilung des Dietz-Verlages die Ambivalenz der acht dokumentierten Fallstudien nicht aufgegangen zu sein. Das Buch belege, so heißt es in der Verlagsankündigung, daß seitens der Polizei und der Justiz „systematisch versucht wird, ausländerfeindliche Gewalttaten als Einzeltaten verirrter junger Männer herunterzuspielen“. Die politischen Motive der Täter nähmen „weder Ermittler noch Richter“ zur Kenntnis.

Daß das ausgemachter Unsinn von Leuten ist, die systematisch all jene Fakten ignorieren, die nicht zu dem von ihnen immer noch gepflegten Bild einer auf dem rechten Auge blinden Justiz passen, ergibt sich aus der Lektüre selbst. Müller-Münch schaut gottlob genauer hin. Und siehe da, zum Vorschein kommen nicht nur solche Richter – wie in Duisburg –, die von „jugendtypischen Verfehlungen“ brabbeln, wo von ausländerfeindlichem Terror die Rede sein müßte. Der ausführlich geschilderte Prozeß um den Solinger Mordanschlag vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf zeugt ebenso von einer anderen, an echter Aufklärung interessierten Justiz wie das Dortmunder Verfahren gegen den früheren Vorsitzenden der „Nationalistischen Front“, Meinolf Schönborn. Dessen rechtsextremistische Bestrebungen, so befand das Dortmunder Landgericht mit Blick auf die mitunter nachlässigen Ermittlungen der Polizei, müßten „unnachsichtig bekämpft werden“. Leute wie Schönborn hätten Milde „nicht verdient“.

Müller-Münch berichtet darüber ebenso wie über den Paderborner Richter, der drei Angeklagte, die „Ausländer raus!“- Parolen gebrüllt hatten, mit der Begründung freisprach, sie hätten in „verbaler Kurzform“ nur das ausgedrückt, was „viele Bundesbürger meinen: daß nämlich zu viele Ausländer hier leben“.

Daß der Dietz-Verlag selbst die spannend beschriebene Ambivalenz der justitiellen Praxis auf dem Buchdeckel leugnet und die Texte uneingeschränkt als „Beleg“ dafür verkauft, „wie unangemessen auf die Gewalt reagiert wird, die aus dem rechten Spektrum kommt“, bleibt ärgerlich. Eine Teilverantwortung dafür trägt indes auch die Autorin: Während sie sich bei den Gerichtsreportagen einfachen Antworten verweigert und die Fälle für die Leser faktenreich entwickelt, fallen ihre analytischen, kommentierenden Textteile dahinter deutlich zurück.

Da erscheint die Justiz auch bei Müller-Münch eher wieder als uniforme, auf dem rechten Auge ziemlich blinde Institution. Das liest sich mitunter fast so, als traute sie ihren eigenen Beobachtungen auf den Pressebänken der Gerichtssäle nicht. Schade!

Ingrid Müller-Münch: „Biedermänner und Brandstifter. Fremdenfeindlichkeit vor Gericht“. Verlag H. J. W. Dietz Nachfolger; Bonn 1998, 256 S., 24,80 DM