Das Wahlvolk – eine spekulative Größe

■ betr.: „Umweltschützer fordern grünes Reinheitsgebot“, taz vom 12. 5. 98

Ich empfinde die Kritik der Umweltverbände an den Bemühungen der Bündnisgrünen, die Fünf- Mark-Kampagne im Wahlkampf zu entschärfen, als zutiefst scheinheilig. [...] Während sich die Bonner „Weiter so“-Parteien mit ihrer Angstkampagne gegen eine ökologische Steuerreform, die den Namen auch tatsächlich verdient, auf die öffentliche Unterstützung der Industrie- und Unternehmerverbände bauen konnten, blieb es auf seiten der Umweltverbände still. Die deutschen Umweltorganisationen haben eine große publizistische Macht; sie haben sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht genutzt, um den Grünen in dieser Auseinandersetzung beizustehen. Sie haben sich auffallend zurückgehalten und zugeschaut, wie sich der Sturm der Entrüstung über B' 90/Grüne als einer scheinbar isolierten, „radikal-ökologischen“ Partei entladen hat. B' 90/Grüne können auch bei einer Regierungsbeteiligung ab Herbst 98 nur politisch durchsetzen, was gesellschaftlich durchsetzungsfähig ist. Eine spürbare Energiebesteuerung oder auch einen zügigen Atomausstieg gesellschaftlich durchsetzungsfähig zu machen, dabei sind die Grünen auf die tatkräftige Unterstützung der Umweltverbände angewiesen.

Gleichzeitig bedeutet in einer Demokratie aber gesellschaftliche Durchsetzungsfähigkeit vor allem auch, bei Wahlen die nötige Unterstützung zu bekommen, um als möglichst starker Regierungspartner Politik auch umsetzen zu können. Hier haben B' 90/Grüne auf dem Magdeburger Parteitag entscheidende Fehler gemacht, indem sie Beschlüsse gefaßt haben, die in ihrer öffentlichen Wirkung mißverständlich waren und massive Ängste ausgelöst haben: vor allem die Angst, eine verstärkte Energiebesteuerung würde insbesondere die sozial Schwachen in der Gesellschaft treffen. Es geht also bei der Formulierung des Kurzprogramms von B' 90/Grüne für die Bundestagswahl nicht darum, die umweltpolitischen Zielsetzungen abzuschwächen, sondern darum, mißverständliche Äußerungen so zu korrigieren, daß sie die positiven Zukunftsperspektiven, die die steuerlichen Konzepte der Grünen breiten Bevölkerungsschichten – insbesondere den sozial Schwachen – bieten, in den Vordergrund rücken. [...] Burkhard Remppis, Heidelberg

Arbeit billiger und Energie teurer machen – klingt gut, wie? Aber habt Ihr Euch das mal auf der Zunge zergehen lassen? Billig, das heißt doch: nichts wert!

Was Menschen einsetzen, ihre Arbeitskraft, ihre Begabungen und Fähigkeiten, sich selbst, um etwas zu tun, was andere zum Leben brauchen, das hat in den letzten Jahrzehnten tatsächlich an Wert verloren, marktwirtschaftlich gesehen und am Geld gemessen. Jetzt soll es also noch billiger werden.

Bekanntlich wird das große Geld dort gemacht, wo die großen Zahlen geschrieben werden: an der Börse. Ein paar Minuten spekulatives Engagement an der Börse sind mehr wert als die Jahresarbeit eines Facharbeiters. Aber letztere soll noch billiger werden. [...]

Allerdings, Moment mal: Wenn die Energie teurer wird, wird natürlich die Produktion von Handys und Autos auch teurer. Und deren Gebrauch. Und die Lebenshaltungskosten der Arbeiter. Die vor allem. Was dann wohl unterm Strich herauskommt? Da müssen die vier wohl noch mal in die Beethovenhalle. Dann bekommt das Grüne Kasperletheater noch die eine oder andere Fortsetzung. Am Ende wird's ja vielleicht 'ne schöne Serie. Das hat dann wenigstens einen gewissen Unterhaltungswert. Michael Pietsch, Rosenhagen

betr.: „Mißgriff und Irrtum“, taz vom 15. 5. 98

Im Kommentar schreibt Bettina Gaus, daß eine Partei gewählt wird, wenn sie mit eigenen Konzepten überzeugt. Einmal mehr muß ich feststellen, daß die Journalisten dieser Republik (auch der taz) eine völlig falsche Wahrnehmung von dieser Gesellschaft und vom Wahlvolk haben.

In einem Land, das Guildo Horn zum kulturellen Botschafter kürt, einen Harald Schmidt zum Medienstar macht, das überall nur Ballermann ist, wo nur noch Fun und Party zählt, da ist das Wahlvolk nicht mit Konzepten zu gewinnen. Ginge es um Konzepte, dann müßte ein gewisser Herr Schröder an der Fünfprozenthürde scheitern. Tut er aber nicht, er steigt auf in schwindelnde Höhen.

In den Bereichen Ökologie, Wirtschaft, Steuern und soziale Sicherheit haben B' 90/Grüne in Magdeburg ein glaubwürdiges Konzept vorgelegt, das aber in seiner Komplexität vom Wahlvolk nicht verstanden wurde. Auch die taz nennt in den Schlagzeilen zu bündnisgrünen Beschlüssen nur die Belastung der Ökosteuer und verschiebt die Verbesserungen (für die Umwelt, Senkung Lohnnebenkosten) ins „Kleingedruckte“. Jetzt wird versucht, durch eine Kurzfassung die Programmatik griffig und verständlich an die WählerInnen weiterzugeben. Dies bedeutet weder „Umfallen“, noch ist es falsch, es ist ganz einfach vernünftig. Es wäre gut gewesen, wenn Vernunft schon in Magdeburg geherrscht hätte. Eugen Schlachter, Maselheim

betr.: Foto zum Kabinettswechsel in NRW, taz vom 20. 5. 98

Danke für das ehrliche Foto. Es zeigt, was die Grünen in NRW auch in Zukunft zu erwarten haben. Die SPD-Männer (!) halten die Hände fest auf allem, was wichtig ist, was sie in ihrem Sinn zu entscheiden wünschen. An den Verhandlungstisch darf die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn nicht. Von Clement und Matthiesen eingeklemmt, wird sie jeder Handlungsfähigkeit beraubt. Gemäß der SPD-Auslegung der Koalitionsvereinbarungen dürfen die Grünen allenfalls einen Blick auf die anstehenden Sachverhalte werfen. Clement hindert Bärbel Höhn unter Körpereinsatz am Eingreifen, indem er sie mit dem Arm, der Schulter und der breit auf dem Tisch liegenden Hand blockiert. Matthiesen unterstützt ihn dabei. Daß Clement und Matthiesen hierbei elementare Höflichkeitsformen verletzen und sie nicht einmal der anwesende Pressefotograf dazu bringt, ihre Positionen zu ändern, gibt zu denken. Die grüne Basis wird dieses Foto mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Renate Wußing, Braunschweig