Kleiner roter Stofffetzen

■ Das Fockemuseum eröffnet seine neukomponierte Dauerausstellung zu 1216 Jahren Bremer Geschichte

Heimatmuseen haben etwas von den alten königlichen Wunderkammern des späten Mittelalters. Schatzkiste und Ramschtruhe in eins, präsentieren sie die unermeßliche Ansammlung der Güter und Produkte aus nächster Nähe und kolonialer Ferne. Die liegen, hängen, stehen wie absichtlos bereit für die eintreffenden Gäste. Und wenn das Heimatmuseum sich dann auch noch „Landesmuseum“ nennen darf, dann ahnt man, daß hier ein gütiger Landesfürst regiert, der noch alten Potlatsch-Riten zu huldigen weiß und stolz seinen Gästen zuruft: Nehmet hin, soviel eure Arme zu tragen bereit sind, denn was mir gehört, das gehöre auch euch.

Nun, ganz soweit wird es nicht gehen im demokratisch säkularen Fockemuseum draußen auf der Grenze von Schwachhausen nach Horn. Aber prächtig ist das schon, was sich im satten Grün der Parkanlage unter den strengen Blicken von Kaiser und Kurfürsten wie in der Haupthalle des Haupthauses angesammelt hat. Automatisch zieht es den Blick in die Halbtotale, wo sich in der Tiefe des Raumes drei Fahrzeuge eyecatchend quergestellt haben. Darunter zwei Borgwards aus den Jahren des Herren 1959 bis 1961, als es mit dem Unternehmen den Bach runter ging und Carl Borgward einmal noch seine ganze Untergangslust an einem Mahagoni-Modell für die künftige „Arabella“ ausspielte. Kultur und Luxus sind Phänomene von Gesellschaften im Niedergang; Borgwards chromblitzendes Isabella Coupé beweist es, das halbverdeckt von einem ruinösen Schiffsrumpf als Prunkstück den Themenbereichs „Automobilbau in Bremen“ dominiert.

Der erste Eindruck täuscht nämlich. Natürlich gibt es eine Ordnung im Ganzen. Mit sechs Themenbereichen und einem großen chronologischen Rundgang drumherum. Das wurde von einem großen interdisziplinären Planerkreis in den letzten Monaten so ausgetüftelt, berichtete gestern Jörn Christiansen, der Hausherr des Fockemuseums. Und nach der Eröffnung morgen abend wird Bremens neue Ordnung der Dinge dann ab Freitag auch dem gemeinen Volke offenstehen.

Drei Jahre lang war das Haupthaus des Museum geschlossen; für 3,5 Millionen Mark wurde es saniert und nach erneuerten Museumsmaßstäben eingerichtet. „Behutsam!“, betont Jörn Christiansen gern, „behutsam, filigran und sensibel“ sei Herr Gössel, der Ausstellungsgestalter, vorgegangen, um auch das denkmalswürdige Gebäude selbst zur Wirkung kommen zu lassen. Und behutsam sei man auch mit den Medien umgegangen. Bloß keine „Disneyworldisierung“ war die Devise: „Wir führen das Original bei uns sehr im Schilde!“

Vor allem im breiten Eingangsbereich geht das Konzept auf. Die Fahrzeuge aus Bremens Auto- und Schiffahrtsproduktion, die Modelle zur Geschichte des Bremer Hauses, die pfiffige Inszenierung des Bremer Tafelsilbers in dem runden Sonderraum, wo bisher das Mittelalter sich drängte, Maschinen aus dem arbeitsreichen Zeitalter der Industrialisierung und Modelle aus der Produktion der AG Weser. Jedes Stück hat Raum für Blickkontakte mit dem künftigen Publikum, das an modernen Flachbildschirmen sich weiterbilden kann. Gemächlich wie die Weser ziehen da Videoaufnahmen der Originalschauplätze vorbei an gewaltigen Schiffsrümpfen und über stuckige Viertelfassaden, und natürlich kann man sich jederzeit interaktiv einklinken, den Lauf der Bilder stoppen und aus dem landesmusealen Magazin Zahlen, Fakten, Hintergründe auf den Monitor holen.

Drei Viertel des Bestands nämlich bleiben im Magazin verborgen – 2000 Quadratmeter Ausstel-lungsfläche sind so üppig nicht, wenn es um Bremens Reichtum geht. Im chronologischen Rhythmus des Rundgangs, der gleich hinter den Borgwards abzweigt und erst hinter dem großen Modell vom AG Weser-Gelände wieder auf den Themenraum stößt, zeigt sich denn auch eine gewisse Enge. Mit viel Milchglas und winkligen Stellwänden wurden Schneisen und Räume geschaffen um der Fülle Herr zu werden und dem unerbittlichen Ablauf der menschheitsgeschichtlichen Stechuhr (die am Anfang des Rundganges steht) ihre Zeiträume abzutrotzen; doch auch Struktur ermüden.

Mit guten Gründen wurden hier die Monitore zurückgefahren und eher auf akustische Begleitung gesetzt. Highlight museumspädagogischer Raffinesse: Die Interpretation der Frontschnitzereien auf Hochzeitstruhen aus dem 17. Jahrhundert. Ein Knopfdruck, und das Figuren-Gewirr in den schweren Bildplatten verschwindet im Halbdunkel. Ein Spot richtet sich auf eine der zahlreichen ineinanderübergehende Szenen, gleitet langsam weiter, während aus dem Off eine Stimme die Historie von Esther und Ahasver erzählt: „... Die letzte Szene zeigt das schlimme Ende des Haman“ – Licht aus, Spot an, und schon erscheint er, ganz unscheinbar im Hintergrund der Hochzeitstruhe – am Galgen baumelnd. So geht es von Nische zu Nische durch Bremens Geschichte. Von den Zünften an den Wangen des Ratsgestühls vorbei bis sich der Raum für die Weser-Renaissance kurzfristig öffnet: Da steht das Rathaus neben Münstermanns Orgelprospekt und dem Herkules, und in den Vitrinen (vor dem Fensterputzer, der noch schnell die letzte Klarheit für den morgigen Eröffnungstag bringt), stehen Vitrinen mit ein paar einfachen irdenen Schalen für den Hausgebrauch neben dem farbenprächtigen Krug aus Werra-Keramik.

So zieht sich das durch, von Stellwand zu Milchglasscheibe bis ins 20. Jahrhundert. Ein jedes Teil bedächtig und mit großem Kenntnisreichtum erwählt, auf daß sich aus jedem Objekt eine ganze Welt auftue. „Das kulturelle Leben der Stadt“, sagt die Kunsthistorikerin Uta Bernsmeier, verantwortlich für die kunsthandwerklichen Objekte.

Aber was heißt schon Leben. Ich weiß es. Kurz vor Schluß fand es sich noch. In einem kleinen roten Stoffetzen, hinten im Raum des 20. Jahrhunderts. Oh. Den möchte ich haben. ritz

2. Teil der Besprechung morgen: „Urbanes Leben im Viertel“, eine Sonderausstellung