Captain Kirk darf nicht nach Irland

Die Pogues waren nicht erlaubt, „Terroristen“ durften nicht vors Mikro, Radiodiskussionen gab es nicht. In Nordirland mußte sich selbst die ehrbare BBC der Zensur beugen  ■ Von Erik Heier

In der letzten Woche tingelte Moderator David Dunseith mit seiner BBC-Radio-Crew kreuz und quer durch den Norden der irischen Insel. Kurz vor dem Referendum schaute Talk Back, die Hörergesprächssendung von Radio Ulster, dem Volk noch einmal auf die Stimmbänder.

Sieben Jahrzehnte rituell gehegter Feindschaft liegen hinter pro- britischen Unionistern, zumeist Protestanten, und proirischen Republikanern, überwiegend Katholiken. Seit 1924 sendet die BBC in Nordirland. Debatten über den politischen Status der „gegensätzlichsten Region“, wie sie der Belfaster BBC-Chronist Rex Cathcart genannt hat, waren in Rundfunk und Fernsehen bis vor wenigen Jahren kaum vorstellbar. Erzürnte Unionisten hätten die Telefonleitungen zum Rundfunkhaus an der Ormeau Avenue in Belfast verdampft. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Bis Ende der 40er Jahre waren politische Debatten im nordirischen Äther vollkommen tabu. Während die Londoner BBC- Zentrale 1926 beim britischen Generalstreik keine Übernahme der Mikrofone durch die Regierung zuließ, freute sich Gerald Beadle, von 1926 bis 1932 Rundfunkdirektor in Belfast, über eine gute Zusammenarbeit mit einer nordirischen Führung. Im einflußreichen Ulster-Club plauderte Beadle regelmäßig mit dem nordirischen Premierminister.

Wenige Jahre nach der Teilung der ehemaligen britischen Kolonie Irland bewegte sich öffentlich- rechtlicher Rundfunk in Nordirland auf dünnem Eis. Das BBC- Personal kam überwiegend aus Schottland und England und war mit den regionalen Absonderlichkeiten kaum vertraut. Folge: Brisante Themen wurden tunlichst vermieden. Das katholische Bevölkerungsdrittel fand im Radio kaum statt. Die Abstinenz der BBC von kontroversen politischen Diskussionssendungen, wie sie in Großbritannien seit 1928 üblich waren, nützte nur der Regierung in Stormont unter Führung der Unionisten. Der nordirische Medienexperte David Butler nennt das eine „Konspiration der Stille“.

Paradox: Während die öffentlich-rechtliche BBC das unionistische Establishment hofierte, sendete das kommerzielle Ulster Television, 1959 gestartet, auch für die katholische Minderheit. Ökonomischer Zwang nivelliert: UTV konnte schlecht auf ein Drittel der Werbezielgruppe verzichten. Als in den fünfziger und sechziger Jahren eine Aussöhnung möglich schien, propagierte die BBC aktiv den Konsens. Protestantische Hardliner um den radikalen Pfarrer Ian Paisley zogen gegen die „Gleichmacherei“ der „verräterischen BBC“ zu Felde.

Mit dem Ausbruch der Unruhen, die 1968 mit katholisch dominierten Bürgerrechtsmärschen begannen, geriet die BBC in ein Dilemma, an dem Medienwirkungsforscher ihre Freude haben müßten. Berichte über lokale Kämpfe konnten eine Eskalation zur Folge haben. Zeitweise bis zu 70 Anrufe nach jeder politischen Sendung waren noch die harmloseren Reaktionen. Fernsehbilder von Straßenschlachten jedoch räumten die Pubs in Belfast oder Derry schneller als jede Sperrstunde. Paddy Horror Picture Show: austrinken und mitprügeln.

Nachdem die britische Regierung 1972 die direkte Kontrolle übernahm, adaptierte die BBC auch das Londoner Erklärungsmuster für die Unruhen: Terrorismus als Ursache, nicht als Wirkung. Die BBC etablierte als Reaktion auf die Verhaftung eines ihrer Reporter, der der Polizei seine Quellen im IRA-Umfeld verschwieg, ein rigides Selbstzensursystem. Als verschiedenkonfessionelle Nachbarn in Belfast sich gegenseitig aus den Wohnungen herausbrannten, gaben die „verantwortungsvollen Berichte“ keinen Hinweis, wer da wen warum attackierte. Für das restliche Britannien waren diese Iren einfach Hitzköpfe, die sich aus Tradition gegenseitig das Guinness-Glas aus der Hand schossen.

Zwischen 1959 und 1993 wurden etwa 190 Zensurfälle bekannt. Neben Nachrichtenprogrammen und Dramen traf dies auch Popsongs von den Pogues oder Paul McCartney und eine Star-Trek- Episode, in der die Crew sich im 21. Jahrhundert nach dem Sieg der IRA auf die Grüne Insel beamte.

Die interne Zensur war freilich eine Reaktion auf politischen Druck. Mit dem Broadcasting Ban 1988 bis 1994 exerzierte die Regierung erstmals nach dem Krieg direkte Zensurmaßnahmen. Um den terroristischen Organisationen den „Sauerstoff der Öffentlichkeit“ (Margaret Thatcher) zu entziehen, durften ihre Vertreter nicht mehr in Funk und Fernsehen befragt werden – auch nicht die gewählten Parlamentarier der IRA- nahen Sinn Féin.

Seit Ende der 70er Jahre fand die BBC langsam in die Rolle einer Diskussionsplattform, als Zentrum in einer Gesellschaft ohne politische Mitte. Mit Erfolg: Am 12. August 1997 fand auf BBC 2 die erste öffentliche Debatte zwischen Vertretern der IRA-nahen Sinn Féin und der größten Protestanten-Partei, der Ulster Unionist Party (UUP), statt. Im Umfeld des Referendums sollten noch viel brisantere Debatten stattfinden: „Verlierer“ Paisley geriet nach der Abstimmung auf dem Bildschirm mit dem gemäßigten Katholiken John Hume aneinander.