Eine Sprache des Hasses und der Gewalt

Von den Treffen zwischen den Präsidenten Jugoslawiens und des Kosovo erwarten die Menschen nicht viel. Angesichts täglich neuer Opfer resignieren auch viele Intellektuelle in ihrem Kampf für eine Zivilgesellschaft  ■ Aus Priština Erich Rathfelder

Das Gebäude der Architektur-Fakultät in Priština bietet ein trauriges Bild. Die Fenster sind zerschlagen, die Innenräume verwüstet. Einige albanische Studenten tragen Müll und Schutt aus dem Gebäude, das nach den ersten direkten Verhandlungen zwischen dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević und dem kosovo-albanischen Präsidenten Ibrahim Rugova an die albanische, seit 1990 im Untergrund existierende Universität Priština übergeben worden ist.

„Das ist ihr Abschiedsgruß“, sagt Bekim. Um dem internationalen Druck zu begegnen, hatte Milošević an diesem 8. Mai, dem Tag des ersten Händedrucks zwischen den beiden Präsidenten, das Zugeständnis gemacht, Teile des schon seit 1996 verhandelten Erziehungsabkommens umzusetzen. Zu diesen Maßnahmen gehörte die Übergabe des Gebäudes. Kurz darauf begannen die serbischen Studenten „ihre Aktion“. Sie setzten Teile des Labors in Brand, verwüsteten die Bibliothek, die Arbeitsräume und schlugen die Fenster ein. Dann verschwanden sie.

„Es waren Studenten aus Serbien, die hier studierten, nur wenige einheimische Serben“, erklärt Bekim weiter. Und er deutet auf die Schmierereien auf den Wänden. Dort sind die Köpfe von Albanern abgebildet, die von einer Axt zerspalten werden. Sprüche wie „Wir werden eure Frauen vergewaltigen!“ rufen nur Kopfschütteln hervor. „Das ist ihre Sprache, Mord, Haß, Vergewaltigung.“

In Glogovac, einem Dorf nahe der im März abgeriegelten Region Drenica, sind für die Bewohner diese Klagen Realität geworden. Erst vor wenigen Tagen wurde das Zentrum der hiesigen Menschenrechtskommission von serbischen Polizisten zerstört, die Dokumentationen über Menschenrechtsverletzungen beschlagnahmt. Die Polizei ist allgegenwärtig. Fast täglich werden Menschen verhaftet – nur einige kommen zurück. So wie der Arzt Hafer Shola, der nach Aussagen eines Mitglieds der Kommission, das mit ihm zusammen am 10. April festgenommen worden war, „wegen der Schläge geschrien hat“.

Probleme bereitet die Versorgung mit Lebensmitteln. Zwar haben die Bewohner schon vor Monaten Vorräte angelegt, sie sind aber schon knapp geworden. Immerhin fast 80.000 Menschen sind im Bezirk Glogovac zu versorgen. „Bald werden wir humanitäre Hilfe brauchen“, sagt ein Mann.

Doch noch haben es die Menschen hier relativ gut. Denn das Dorf gehört nicht offiziell zu den eingeschlossenen Gebieten Drenica oder Djakova. Zwar werden die Hauptstraßen, die nach Glagovac führen, von serbischen Polizisten kontrolliert. Kein Albaner wagt mehr, die Kontrollpunkte zu passieren. Doch über Feldwege haben die Anwohner andere Zugänge gefunden. Sie führen auch hinein nach Drenica, nach Prekaz und Skenderraj, nach Klina und Lausha, wo sich nach dem Auszug der Frauen und Kinder viele Männer bewaffnet haben, um ihre Dörfer zu verteidigen. Hier greifen seit Tagen serbische Einheiten an, mit Artillerie, Panzern, Helikoptern und MiG-Düsenjägern.

Aber wird sich jetzt, durch die Verhandlungen, nicht etwas zum Besseren wenden? In einem Laden in einem Vorort von Priština nahe der Universität lacht der Inhaber nur. „Was die Verhandlungen bringen? Wir bekommen keine Milch mehr, das Mehl wird knapp, auch Zucker wird nicht mehr geliefert.“ Kurz nach dem ersten Händedruck der beiden Präsidenten wurde von der serbischen Seite ein Wirtschaftsembargo gegenüber Kosovo verhängt. Jetzt stauen sich die Lastwagen an den Grenzen zur Provinz. Lastwagen, die Seitenstraßen benutzen, kommen durch. „Die bezahlen tausend Mark an die Polizisten“, erzählt jemand.

Ardian Arifaj ist Redakteur bei der kosovo-albanischen Tageszeitung Koha ditore. Auch er ist skeptisch angesichts der Verhandlungen. Alles, was geschieht, habe System. „Mehr noch. Genau zu dem Zeitpunkt des zweiten Treffens am letzten Freitag begannen die serbischen Truppen ihre Offensive in Lausha und Klina.“

Sind unter diesen Umständen Verhandlungen überhaupt sinnvoll? Die Ereignisse an der Universität symbolisierten über die Aktion der Staatsmacht hinaus einen tiefen Graben zwischen der serbischen und der kosovo-albanischen Gesellschaft, sagt Iusuf Berisha, ein kosovo-albanischer Sozialwissenschaftler. „Hier zeigt sich eine politische Manipulation, es wurde eine antirationale, emotionale Atmosphäre geschaffen, der die serbischen Studenten nichts entgegenzusetzen haben. Im Kosovo hat sich eine zivile Gesellschaft, die in der Lage ist, sich gegen die Manipulation zu wehren und zwischen beiden Seiten Brücken zu bauen, nicht durchsetzen können. Alle Ansätze für einen friedlichen Ausgleich, einer demokratischen Alternative, wurden schon Ende der achtziger Jahre zerschlagen.“

Im Frühjahr 1988 lebte diese Hoffnung noch. Damals gab es noch gemeinsame Treffpunkte für Menschen von beiden Seiten. In einer Alternativkneipe des heute ausschließlich von Albanern besuchten Basarviertels trafen sich 1988 junge Leute. An den Wänden hing ein aus Slowenien stammendes Plakat, auf dem Karl Marx im Polizeigriff abgeführt wurde. Kritisches Denken sei durch die marode kommunistische Diktatur unterdrückt, war die durchgängige Meinung.

Nationalistische Töne aber waren unter diesen Leuten nicht zu hören. Sie interessierten sich für Musik, für ein anderes Leben als Protest gegen die traditionelle Gesellschaft. Sie wollten ausbrechen aus dem kleinen Denken der Provinz. Zeitungen mit Informationen über die Demokratiebewegungen in den anderen Republiken des ehemaligen Jugoslawien wurden herausgegeben, Frauengruppen gründeten sich.

Es war die Zeit, als kosovo- albanische Intellektuelle wie Shkelzen Maliqi und Veton Suroi noch Hoffnungen hegten, eine Demokratisierung des jugoslawischen Systems könnte auch im Kosovo zu einem gesellschaftlichen Wandel führen, zu einer Modernisierung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch des Denkens. Die nationale Frage spielte bei den Diskussionen mit ihnen zwar ein Rolle, ihr wichtigstes Anliegen war jedoch die Demokratisierung. Die nationalen Fragen würden sich im Rahmen einer demokratischen Debatte schon lösen lassen, war die Hoffnung.

„Die Entwicklung ist Ende der achtziger Jahre über uns hinweggegangen“, sagt Shkelzen Maliqi. Und er erinnert an die nationalistische Kampagne, die 1989 zu dem Massenaufmarsch der Serben anläßlich der 600 Jahre zuvor stattgefundenen Schlacht auf dem Amselfeld und der Abschaffung des Autonomiestatuts Kosovos führten. Er stimmt Iusuf Berishas These zu, daß die Ansätze der zivilen Gesellschaft damals zerbrochen sind. „Seither gibt es zwei Öffentlichkeiten, nur ganz wenige Berührungspunkte.“

Die Ansätze zu einer zivilen Gesellschaft, die Brücken bilden und die „große Manipulation“ hätten verhindern können, wurden zerrieben. Nicht nur durch die Repression, auch durch die erfolgreiche Steuerung gesellschaftlicher Prozesse. Als die Albaner 1990 aus allen Stellungen in den Staatsbetrieben und der Bürokratie geworfen wurden, „sind viele Kosovo-Serben in diese Stellungen nachgerückt“.

Die Dolmetscherin Snezana P., die aus einer alteingesessenen serbischen Familie in Priština stammt und hierbleiben möchte, ist traurig. Am Abend zuvor hat sie erfahren, daß ihre beiden besten Freundinnen ihr Haus verkauft haben und nach Belgrad umziehen werden. „Nicht nur die aus Serbien hereingebrachten Polizisten, Militärs, Geheimdienstleute, nicht einmal die intellektuellen Serben aus Belgrad verstehen unsere kosovo-serbische Mentalität“, sagt sie. „Wir haben doch immer mit Albanern zusammengelebt.“ Doch schließlich gesteht sie ein, daß auch die kosovo-serbischen Mittelschichten Fehler machten. „Anstatt miteinander zu reden, anstatt die alten albanischen Freunde zu verteidigen, mit denen wir zusammen zur Schule gegangen sind, haben viele Serben 1990 deren Jobs übernommen. Auch meine Freundschaften mit Albanern sind zerbrochen.“

Die Albaner seien jedoch nicht nur Opfer. „Warum agitierten sie schon seit 1981 für einen unabhängigen Staat Kosovo? Seither wollen sie raus aus Jugoslawien. Ich und meine Familie haben aber auch ein Recht, hier zu sein.“

Heute ist Veton Suroi Chefredakteur der größten albanischsprachigen Zeitung in Priština, Koha ditore, und Shkelzen Maliqi Vertreter der Soros-Stiftung im Kosovo. Beide sind zwar immer noch gegenüber der größten Partei, der „Demokratischen Liga Kosovos“, oppositionell eingestellt, treten jedoch weiterhin für Demokratie und Menschenrechte ein.

Beide sind jetzt aber in anderer Weise in die Verantwortung genommen, sie gehören zu dem inneren Kreis jener kosovo-albanischen Politiker und Intellektuellen, die über Parteigrenzen hinweg bemüht sind, eine mit Ibrahim Rugova abestimmte Verhandlungsstrategie mit der serbischen Seite zu entwerfen. Veton Suroi ist sogar Mitglied der Verhandlungsdelegation.

In der demokratischen Gesellschaft eines neuen Kosovo würden die Rechte aller Minderheiten gewahrt, haben sie wie auch Ibrahim Rugova seit langem betont. Die Entwicklung treibt aber auch auf albanischer Seite zur Intoleranz. Die angegriffenen Dorfbewohner gehen nun dazu über, im Gegenzug nicht nur serbische Polizeistreifen, sondern auch serbische Zivilisten anzugreifen. Das war in den letzten Tagen in den Dörfern südlich von Klina der Fall. Anstatt dagegen aufzutreten, werden diese Aktionen bei albanischen Studenten mit heimlichem, aber auch offenem Beifall bedacht.

„Die Verhandlungen sind reine Schminke“, sagt der Journalist Ardian Arifaj. Sie könnten nur zu einem politischen Kompromiß, nicht jedoch zu einem Friedensprozeß führen. „Und das auch nur, wenn die internationale Gemeinschaft mitzieht. Davon ist nichts zu spüren. Für einen echten Friedensprozeß ist es angesichts der gesellschaftlichen Kluft zu spät. Die List der Vernunft aber ist, daß, indem jetzt die Grenzen abgesperrt werden, Kosovo von Serbien als Staat anerkannt wird. Indem die serbischen Studenten die Universität zerstören, zeigen sie, daß sie nicht mehr wiederkommen wollen.“ Serbien habe den Kosovo innerlich schon aufgegeben. „Aber trotzdem besteht die Gefahr, daß es noch viele Opfer geben wird.“