Suhartos Erfolge sind zerstoben

In Indonesien verarmen große Teile der Bevölkerung, die unter Suhartos Herrschaft zu bescheidenem Wohlstand gekommen waren. Der neue Regierungschef Habibie steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

Für Benny waren die Unruhen vor zwei Wochen, als viele Einkaufszentren in der indonesischen Hauptstadt in Flammen aufgingen, keine schlechte Sache. Er ist Müllsammler und lebt im Slumviertel Pengarengan von Jakarta. Eine Fuhre Schrott aus den verkohlten Ruinen des Supermarkts an der Hauptstraße bringt ihm zwei- bis dreitausend Rupiah (50 bis 80 Pfennig) – genug, um eine Mahlzeit für seine Familie zu kaufen.

Aus Elendsvierteln wie Pengarengan stammten die Menschen, deren Zorn über die immer höher steigenden Preise explodiert war und so das Ende der 32jährigen Herrschaft von Präsident Suharto auslöste. In Pengarengan wohnt die Bettlerin, die ihren Job als Näherin in einer Textilfabrik verlor, als sie schwanger wurde. Daneben lebt der entlassene Minibusfahrer, dessen Passagiere die Fahrpreise nicht mehr bezahlen konnten und der sich nun mit kleinen Diebstählen über Wasser hält.

Die Bewohner des Slums gehören zu den Millionen Indonesiern, die in den Jahren des Booms unter Suharto arm geblieben sind – und die von der gegenwärtigen Wirtschaftskrise am schlimmsten betroffen sind. Sie erwarten vom neuen Regierungschef B.J. Habibie vor allem eines: Daß er es ihnen möglich macht, ihre Kinder wieder richtig zu ernähren. Denn die Preise vieler Lebensmittel haben sich seit 1997 verdoppelt, Milch für die Kinder zum Beispiel ist für viele unerschwinglich geworden.

Als eine seiner größten Leistungen hatte Präsident Suharto stets die Linderung der Armut bezeichnet: Als er Mitte der 60er Jahre an die Macht kam, lebte mehr als die Hälfte der Menschen unter der offiziellen Armutsgrenze. Unter seinem Regime stieg das durchschnittliche Einkommen von 80 auf über 1.000 Dollar im Jahr 1997. Nur elf Prozent der Bevölkerung – immerhin 22 Millionen Menschen – galten noch als sehr arm.

Doch nun sind viele dieser Erfolge zerstoben. Mehr als acht Millionen Indonesier verloren in den letzten Monaten ihren Job. Nach Berechnungen der Weltbank wird sich die Zahl der Menschen unter der Armutsgrenze (mit Einkommen von umgerechnet unter einem Dollar pro Tag) auf über 40 Millionen verdoppeln. Auch die neue Mittelschicht kämpft ums Überleben. Die 29jährige Nur Haida aus dem Slum Gaplok verdiente als Wäscherin am Tag ein paar tausend Rupiah. Aber jetzt waschen ihre Kunden selber. Wer entlassen wurde und ein Moped besitzt, stellt sich an die Straßenkreuzung als Motorradtaxifahrer.

Das neue Kabinett unter B.J. Habibie, dem wegen seines schillernden Finanzgebarens umstrittenen ehemaligen Technologieminister, steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe: In vielen Teilen des Landes liegen die Fabriken lahm, weil sie keine Kredite mehr bekommen und so gut wie keine Teile mehr importieren können.

Finanzinstitute verlangen über 60 Prozent Zinsen. „Das kann kein ehrliches Geschäft erwirtschaften“, sagte F. Kleinsteuber von der Indonesisch-deutschen Handelskammer in Jakarta. Über 90 Prozent der indonesischen Banken sind nach Schätzungen von Ökonomen pleite. Die Inflation droht in diesem Jahr 50 Prozent zu übersteigen und die Wirtschaft um zehn Prozent zu schrumpfen. Indonesien ist mit über 130 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet.

Der neue Präsident Habibie bemühte sich gestern betont, die Furcht der Chinesen, von denen bereits viele nach den Krawallen das Land verlassen haben, zu besänftigen: Er besuchte das zerstörte Chinatown in Jakarta und sicherte der chinesischen Gemeinde seine Unterstützung zu. Diese Minderheit dominiert den Handel und besitzt über 60 Prozent des Unternehmensvermögens.

Um seine neue Regierung vom Ruch des Nepotismus zu befreien, wiesen Habibie und der mächtige Armeechef Wiranto ihre Angehörigen an, alle öffentlichen Posten aufzugeben. Forderungen von Oppositionellen nach einer öffentlichen Untersuchung des angehäuften Reichtums der Suharto-Familie stießen bislang jedoch auf taube Ohren. Auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar schätzt die Antikorruptionsorganisation Transparency International das unrechtmäßig erworbene Vermögen des Clans.

Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, die Indonesien während der Unruhen eilig verließen, sind zurückgekehrt und wollen nun ein weiteres Mal verhandeln, unter welchen Bedingungen der IWF die nächste Tranche seines angekündigten Beistandskredits von insgesamt 43 Milliarden Dollar auszahlen wird. Eine ursprünglich für den 4. Juni zugesagte Zahlung über eine Milliarde Dollar wird aber zunächst verzögert.