Vereistes Männer-Noir-Cool

Das Abaton zeigt Violent Cop und Sonatine von und mit Takeshi Kitano  ■ Von Tobias Nagl

Takeshi Kitano hätte nach dem Tode Toshiro Mifunes das Zeug zum neuen Vorzeigegesicht Japans: ein asiatischer Alain Delon oder ein neuer Chow Yun-Fat. Unter glatt anliegenden Haaren wölben sich auf seinem unbewegten Gesicht so schwere Tränensäcke über die scharfen Wangenknochen, daß man sich fragt, wann sie endlich, der Schwerkraft folgend, auf seine Designer-Seidenhemden tropfen werden.

Ein Gesicht, so starr wie eine Maske und fast ausdruckslos – auch wenn es nicht durch eine Sonnenbrille verdeckt wird. Allenfalls eine gehemmte Trauer mag man ab und zu darin lesen, die Kitano aber selbst in den heiteren Momenten seiner Filme nie ablegt. Seit seinem Motorradunfall und der folgenden Gesichtslähmung ist ihm dieses Kinogesicht auch in die reale Physiognomie eingeschrieben, und es scheint wie geschaffen, ein vereistes Fourty-Something-Noir-Männer-Cool zu repräsentieren. In seinen eigenen Regiearbeiten spielt er ebenfalls genau diesen Typ, und sie sind bevölkert von sadistischen Cops und einsamen Yakuza-Gangstern.

Dennoch sind die Filme des japanischen Allrounders Kitano, der sich in seiner Heimat vor allem als Komiker mit bis zu sechs TV-Shows pro Woche einen Namen machte, alles andere als ein weiteres Beispiel kinetisch-ästhetisierten Gewalt-Kinos auf der Pulp Fiction-Achse. Kitanos Kino ähnelt weit mehr dem filmischen Modernismus japanischer Großmeister wie Yasujiru Ozu oder Kenji Mizuguchi, deren visuellen Formalismus und Hang zur erzählerischen Abstraktion er auf die Tradition des Yakuza-Films der 60er Jahre überträgt. Das macht seine lakonisch langsamen Filme nicht gerade leicht konsumierbar – und die Momente der Gewalt erst recht nicht. Immer verweilt er so lange auf seinen toten Gangstern, bis sie sich in Stilleben verwandeln.

Sieben Filme mußte Kitano drehen, bis man nach dem preisgekrönten Hana-Bi auch im Westen auf ihn aufmerksam wurde. In seinem Regie-Debüt Violent Cop spielt Kitano die erste seiner typischen nihilistischen Männerfiguren, den Bullen Azuma, der nach der Entführung und Vergewaltigung seiner Schwester in einen aussichtslosen Privatkrieg gegen einen Drogendealer-Ring zieht. Die europäische Videofassung bewarb Violent Cop als japanische Antwort auf Dirty Harry – und so falsch ist das nicht. Violent Cop war eine Auftragsarbeit, bei der Kitano erst in letzter Minute auch noch die Regie übernahm, und gehorcht den Genregesetzen des Gangsterfilms von all seinen Arbeiten am ehesten.

Doch schon in Violent Cop deutete sich an, daß es Kitano vornehmlich um etwas anderes geht: das Vergehen der Zeit und die Zeitlichkeit des filmischen Bildes und Erzählens. Eine Autoverfolgungsjagd findet nicht statt, weil sich die Cops ständig verfahren oder im Einbahnstraßen-Dickicht steckenbleiben. Statt die Kamera zu bewegen oder zu schneiden, verlegt Kitano lieber alle Bewegung ins Bild.

In Sonatine finden diese stilistischen Momente ihre Vollendung. Sonatine gelingt das Meisterstück, ein so handlungsorientiertes Genre wie den Gangsterfilm in den Stillstand zu überführen und seine Yakuzas auf Urlaub zu schicken. Zur Unterstützung eines Bandenkriegs nach Okinawa beordert, findet sich Kitano samt seiner Gang zwischen allen Fronten und beschließt, mit seinen Männern in einem Strandhaus unterzutauchen. Die Zeit des Wartens vertreiben sich die Gangster, indem sie sich gegenseitig Fallen graben, Sumo-Wettkämpfe inszenieren oder Frisbee spielen. Dann taucht ein Auftragskiller auf und dezimiert die unbeirrt weiteralbernden Gangster einen nach dem anderen. Am Ende ist nur noch Kitano übrig, der sich mit derselben melancholischen Todesverachtung erschießt.

Sonatine: täglich, 22. 15 Uhr

Violent Cop: ab 18. Juni, Abaton