Staring on film: Bachs Cellosuiten

■ Neu im Kino: „Yo-Yo Ma: Inspired by Bach“ / Sechs Bach-Suiten, von dem Cellisten nicht nur musikalisch, sondern auch filmisch interpretiert: Zu Tanz, Eislauf und Cyberkunststücken

Ein Cellist, der klassische Musik spielt, ist im Kino kaum abendfüllend. Selbst wenn er, wie Yo-Yo Ma, zur Zeit der renommierteste Virtuose auf seinem Instrument ist, und wenn er mit den „Suiten für Solo-Cello“ von Johann Sebastian Bach einige der schönsten und schwierigsten Stücke für das Cello interpretiert. Um so erstaunlicher ist dieses weitläufige, fast monumentale Filmprojekt, das er nun inszeniert hat..

Es scheint, als wäre es Ma so alleine mit Bach und seinem Instrument zu einsam geworden, und so hat er seine Neueinspielung der sechs Suiten zum Anlaß dafür genommen, um aus jeder einzelnen Suite zusammen mit verschiedenen Kollaborateuren einen Film zu basteln. „Inspired by Bach“ wurde Ma dabei zu extrem unterschiedlichen Projekten, und diese Bandbreite, seine erstaunliche Weltoffenheit und Risikobereitschaft macht den Hauptreiz dieser Filmreihe aus.

Einige Projekte schienen sich dabei wie von alleine anzubieten: So lag es nahe, zu Bachs Tanzmusik (eine Definition von Suite ist: Folge von Tanzstücken) eine Choreographie zu erarbeiten. Dies tat Mark Morris zusammen mit seiner vierzehnköpfigen Tanzgruppe in dem Film „Falling down Stairs“. Zu einer anderen Bachsuite tanzt der Kabuki-Schauspieler Tamasaburo Bando in „Struggle For Hope“: dies ist ein in der Form sehr strenger und dadurch um so schönerer Pas de deux für Bando und Ma: den Tänzer in traditionellen Frauenkleidern und den versunken spielenden Cellisten vereint der Regisseur Niv Fichman in einigen sehr Einstellungen zu einem schönen Paar.

Um ein Gleichgewicht zwischen den akustischen und optischen Reizen zu erlangen, bot es sich an, den Cellisten in auf dem Computer erzeugten, virtuellen Räumen spielen zu lassen. In dem Film „The Sound of the Carceri“ wurden so die Zeichnungen des Architekten Giovanni Battista Piranesi aus dem 16. Jahrhundert digitalisiert und zu dreidimensionalen Cyberräumen weiterentwickelt. Mit vielen technischen Tricks wurde dann die Akustik von Mas Spiel so verändert, daß sie dem jeweiligen Raumgefühl entsprach.

Kühner war da schon die Idee von Ma, basierend auf Bachs erster Cellosuite, einen real existierenden Garten zu gestalten. Für „The Music Garden“ arbeitete er hierfür mit der Landschaftsplanerin Julie Messervy zusammen. Ihr ehrgeiziges Projekt im Zentrum von Boston blieb zwar schon im Planungsstadium im Unkraut der Bürokratie hängen, aber auch hier kamen wieder Spezialeffekte zur filmischen Rettung, sodaß wir Ma schließlich doch im Garten seiner Musik spielen sehen.

Ganz und gar abgedreht ist Mas Vorhaben, in „Six Gestures“ eine Bachsuite von den Eislauf-Weltmeistern Jayne Torvill und Christopher Dean interpretieren zu lassen. „Sie haben für den Eislauf das gleiche geleistet wie Bach für das Cello“ lautet Mas zumindest originelle Begründung. Aber dieser Film schlittert wie auch einige andere gefährlich nah an den Grenzen zum Kunstgewerbe entlang.

Am besten gelungen ist dagegen „Sarabande“ von Atom Egoyan: ein richtiger kleiner Spielfilm, in dem verschiedene musikalische und psychologische Motive bril-lant und spielerisch wie in einer Fuge gegeneinandergesetzt, wiederholt und variiert werden. Dies ist der einzige Film, der ganz ohne ein theoretisches Gerüst, lange Erklärungen oder Aufnahmen vom Arbeitsprozeß auskommt.

Und Egoyans Auge hat auch die schönste einzelne Einstellung vom musizierenden Ma gefunden: Man sieht nur seine Füße, die beim Spiel mitwippen und schwingen, und so den zugleich simpelsten und intensivsten visuellen Kontrapunkt zur Musik bilden. Yo-Yo Ma spielt in diesem Film sich selber in einem dramaturgischen Kontext, aber er ist natürlich auch in den anderen Filmen der Star: sehr sympathisch, redegewandt und fotogen; man möchte ihm tatsächlich stundenlang beim Spielen auf dem Cello zusehen. Nur die Musik von Bach stiehlt ihm manchmal die Show.

Wilfried Hippen

Das Kino 46 zeigt die sechs Filme in den nächsten Tagen jeweils im Doppelpack. Sie werden als Originalfassungen ohne Untertitel vorgeführt