Kleine Fische Von Susanne Fischer

In jüngster Zeit wundere ich mich zunehmend darüber, wie viele Angler es in unserem Land gibt. Meist fahren sie in betagten, staubigen Audis durch die Gegend, auf der Suche nach der nächsten Angelgelegenheit. Damit sie sich untereinander erkennen können, haben sie sich die buntschillernde Silhouette eines Fischchens auf das Autoheck, also quasi auf ihre Schwanzflosse geklebt.

Bei genauerer Überlegung scheint mit das allerdings widersinnig. Angler sind Eigenbrötler, die wollen sich gar nicht untereinander erkennen. Am liebsten stehen sie mutterseelenallein vor einem Ozean, versteckt in bauchhohen Gummistiefeln, bis zu den Oberschenkeln im Wasser und reißen einen Zehnpfünder nach dem anderen heraus. Sympathischerweise reden sie dabei nicht, selbst wenn das Pech es will, daß sie sich zu zweit oder zu dritt einen Ozean und fünfunddreißig Zehnpfünder teilen müssen. Die Angler vermehren das Schweigen in der Welt, dafür wollen wir sie loben. Daß ihre näheren Bekannten unter einem Überangebot an tierischem Eiweiß leiden, macht sie trotzdem zu problematischen Mitmenschen.

Vielleicht deshalb der Aufkleber am Heck? Möglicherweise bedeutet er: „Aus diesem Kofferraum können Sie bedenkenlos Karpfen kaufen. Bitte legen Sie das Geld in das Handschuhfach, ohne den Fahrer anzusprechen, denn er ist ein sympathischer, schweigsamer Angler, auch wenn er vielleicht ein bißchen komisch riecht.“ Diese Mitteilung wäre nämlich zulang für einen Aufkleber, so daß jenes bunte Fischchen als Symbol durchaus seine Berechtigung hätte. Die anderen schreiben sich ja auch nicht aufs Auto: „Du bist mir zwar herzlich egal, aber wähle doch um Himmels willen jene nichtssagende Nase aus Niedersachsen, auch wenn dir kein Mensch erklären kann, was du davon hast. Es grüßen dich deine deutschen Sozialdemokraten.“ Nein, ein einfaches „SPD“ reicht da schließlich auch. Der längste mir bekannte Autoaufkleber-Text lautet: „Überholen Sie ruhig, wir schneiden Sie raus. Ihre Freiwillige Feuerwehr.“ Allerdings wird er nicht viel nützen, denn die, die es angeht, sind immer schon vorbei, noch ehe ihr Beifahrer „Überho – aaarrrgg“ gelesen hat.

Die sympathischen Angler dagegen überholen nie. Mit schlappen 68 kmh führen sie ihren Fischaufkleber über die Landstraßen, vermindern aber dafür ihr Tempo auch nicht, wenn sie eine Ortschaft passieren. „O Gott“, stöhnt mein Beifahrer, „schon wieder so einer mit einer christlichen Fahrweise.“ Ja ja, die Angler sind nämlich gar keine, weiß mein gebildeter Begleiter. Es handele sich um ein Geheimzeichen verfolgter Christen. „Kein Wunder, daß man sie verfolgt, wenn sie so komisch fahren“, beweise ich meine heilige Ignoranz. Nein, so sei es nicht, vielmehr ginge alles darum, daß irgendwann mal einer gesagt habe: „Auf deinen Fuß will ich meine Kirche stellen, und du sollst Fische auf deinen Audi kleben.“ Seitdem herrsche ein groß Gezeter unter jenen, die eine Kirche auf dem Fuß stehen haben. Das kann man verstehen. Kein bißchen Schweigsamkeit mehr, keine Karpfen, und wir alle können nur beten, daß ihnen nicht eines Tages einfällt, die Überlieferung gebiete fischförmige Lautsprecher auf ihren Autos, aus denen ihre zehnpfündigen Botschaften knallen.