Schluß mit lustig

■ Die Fachmesse "Internet World" in Berlin ist ein Familientreffen des Mittelstandes

Große Zahlen mag Günter Rexrodt, auch ein Berliner, nun mal am liebsten. „1,7 Millionen Menschen“, sagte er am Dienstag in den Messehallen am Berliner Funkturm, seien schon jetzt „in der Informationswirtschaft beschäftigt.“ Und „100.000 Jobs werden noch in diesem Jahr hinzukommen“. Woher er das weiß? Gleich im ersten Fachvortrag nach dieser amtlichen Eröffnung durch den deutschen Wirtschaftsminister, der kaum eine Chance hat, die Herbstwahlen zu überstehen, hörte es sich schon ganz anders an. Rainer Thome, Chef der Firma „CommerceNet Deutschland“, fand es passender, seinen Auftritt mit einer Aufzeichnung des nachhaltig überhörten Notrufsignals der Titanic einzuleiten. So ähnlich klang dann auch seine Botschaft insgesamt. Von einem effektiven digitalen Geschäftsleben könne bislang nicht die Rede sein, meint Thome, wenigstens nicht in Deutschland, und die Beschwörung neuer Arbeitsplätze, die in dieser Wunderwelt entstehen sollen, sei nichts weiter als „politische Schönrednerei“. Die morgendlichen Zuhörer rieben sich die Augen und notierten weitere Merksätze des Mannes, der nicht nur eine Firma leitet, sondern sich auch mit „Professor“ anreden läßt. Zum Beispiel diesen: „Wir wollen rationalisieren, und das heißt Arbeitskräfte sparen.“

Schon der Liberale Rexrodt hatte deutlich genug zu verstehen gegeben, worin für ihn der besondere Reiz der Branche besteht. „Die klassische Regie von Staat und Tarifparteien“ sei hier „weitgehend verzichtbar“. Die Fach- und Geschäftsleute, die sich zu dieser Messe aufgemacht hatten, hörten's gerne. Es sind Softwaretüftler, die hier versuchen, ihr Programm zu verkaufen, und Unternehmer, die das Gefühl haben, auch sie müßten endlich den Anschluß an das Netz finden, von dem es heißt, es sei das Geschäft der Zukunft.

Amerikanischer Import sucht deutsche Heimat

Zum zweitenmal findet die Messe „Internet World“ nun in Berlin statt. Sie geht heute zu Ende. Hier zu Hause ist sie allerdings noch lange nicht. Sie ist ein Import der amerikanischen Promotionfirma „Mecklermedia“, die ungefähr 30 ähnliche Veranstaltungen in aller Welt durchführen läßt, zum Beispiel in Australien, auf den Philippinen, in Chile, Schweden oder Israel. Seit 1997 nun also auch in Deutschland unter Betreuung der Münchner Firmen „MunicMedia“ und „WebMedia“. Dieses Jahr wird mit 30.000 Besuchern in drei Tagen gerechnet, letztes Jahr sind es 11.000 gewesen. Das sind Zahlen, die kaum der Rede wert sind, doch das schreckt die Veranstalter keineswegs. Sie sind fest davon überzeugt, daß ihr Kunstprodukt seinen Platz als „zentrales Event der Internet-Branche“ findet.

Möglicherweise haben sie sogar recht. Die Internet World ist ganz gewiß keine Leistungsschau der Großindustrie, aber sie ist in diesem Jahr ein ordentlich organisierter, familiärer Treffpunkt des Mittelstandes der Kunden wie der Aussteller geworden. 280 Einzelfirmen haben ihre Stände in zwei der kleineren Berliner Messehallen eingerichtet, kleine, oft lokale Anbieter von Software und Internetzugängen vor allem. Von den Großen haben sich nur Telekom und Microsoft herbeigelassen, unter diesen Krämern mit eigenem Stand aufzutreten; IBM, sonst bei solchen Anlässen kaum zu übersehen, hat diesmal verzichtet.

Damit war die Bühne frei für die kleinen, aber originellen Lösungen. Es ist heute möglich, die komplette Lagerverwaltung eines Online-Ladens mit einem Java-Programm abzuwickeln, das auch auf den älteren Maschinen eines Kleinunternehmens läuft. Die möglichen Geschäftspartner kamen sich auf Augenhöhe näher, kaum belästigt außerdem von den Computerfreaks, die den Fachleuten auf der CeBit das Leben schwermachen. Zu Recht vermuten sie hier keine Sensationen und bleiben zu Hause. Von allen Visionen und bloß technischen Träumereien entlastet, konnte in den Fachvorträgen einigermaßen nüchtern darüber geredet werden, was das Internet für den Mittelstand ist: ein hartes Geschäft vor allem. Auf Dauer wird sich ihm wohl niemand ganz entziehen können, die Risiken jedoch sind vorerst weit größer als die vielbeschworenen Chancen. Nicht nur die neuen Arbeitsplätze stehen in den Sternen, auch die Gewinne der neuen Netzunternehmer.

Die Schierigkeiten beginnen schon bei der Definition der Begriffe. Was ist „e-Commerce?“ Für Rainer Thome nichts weniger als ein „völlig neues Denken“, das den Unternehmer dazu zwingt, sein ganzes Geschäft nach Maßgabe der globalen Computernetze neu zu organisieren. Sie werden die Grenzen der Einzelunternehmen auflösen, bislang konkurrierende Firmen einer Branche werden sich zu euphemistisch „Community“ genannten Kartellen zusammenschließen, und in Thomes Theorie werden am Ende die Computer sogar jene Informationen über Nachfrage und Angebot zur Verfügung stellen, die bisher allein der Markt und die Preise liefern konnten.

Kaum jemand mochte freilich solch radikalen Konsequenzen zustimmen. Zu offensichtliche Hindernisse stehen der digitalen Planwirtschaft im Wege. Rainer Thome beklagte vor allem das Fehlen verbindlicher technischer Standards, Rainhard Büscher, Mitarbeiter der Europäischen Kommission in Brüssel, widersprach heftig. „Proprietäre Standards“ auf der technischen Ebene seien ein derart attraktiver Marktvorteil, daß sie wohl kaum freiwilig aufgegeben würden. Der Hinweis auf Microsoft, IBM und SAP überzeugte jeden im Saal.

Weit wichtiger sind für Büscher jedoch die ungeklärten rechtlichen und allgemeine moralischen Fragen der digitalen Globalisierung. Die nationalen Steuer-, Haftungs- und Strafrechtsbestimmungen können schon in der EU kaum angeglichen werden. Büscher bezweifelt deshalb stark, daß dieses Problem in einer globalen Wirtschaftszone besser gelöst werden kann. Er sieht voraus, daß „wir uns noch sehr lange Zeit einfach nur durchwurschteln müssen“.

Doch wozu das alles? Kein einziger Konsumartikel könnte nicht ebensogut auf den traditionellen Wegen des Versandhandels vertrieben werden. Patrick Palombo, Leiter der Abteilung für neue Medien beim Kaufhaus Quelle, versteht die ganze Aufregung nicht: „Wir machen das seit 17 Jahren online – aber mit Btx.“ Allmählich werde es jedoch Zeit, nicht nur an bunte Bilder zu denken. „Schluß mit lustig“, formulierte er drastisch das Anliegen aller Zuhörer, „es muß etwas in der Kasse hängenbleiben.“ Quelle kann nicht klagen. Das Online-Geschäft spiele inzwischen einen „siebenstelligen Betrag“ ein. Dennoch warnt Palombo vor allzu großen Hoffnungen. Quelle gehört nicht mehr zu den Kleinunternehmen und kann sein Online-Geschäft auf eine in Jahrzehnten gewachsene Infrastruktur aufsetzen.

Dasselbe gilt für die Großbanken, die mit ihrem heute zum Standard gewordenen Angebot einer Online-Kontoführung Kosten sparen. Auch dieses Geschäft ist älter als der Boom des Internets, deshalb fürchtet sich kaum noch ein Kunde vor den Sicherheitsrisiken digitaler Transaktionen, die den übrigen Internethandel heute noch sehr behindern. Dabei seien die Verschlüsselungen auch im Internt längst ausreichend, meint Robert Macho, der diesen Geschäftszweig bei der „Bank Austria“ betreut. Das Hacken von Bankkonten ist offenbar eher ein Sport für Computerfreaks als ein Anreiz für professionelle Kriminelle: „Niemand kann Bargeld aus dem PC holen“, gibt Macho zu bedenken, alle Geldbewegungen, auch die betrügerischen, seien zudem besonders leicht nachzuvollziehen. Ob sich das Online-Geschäft auf lange Sicht lohnt, weiß aber auch er nicht so genau: „Wir machen's halt, weil's alle machen.“ Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de