„Wir sind praktisch Freiwild“

Israelische Fernsehjournalisten kombinierten Ministerpräsident Netanjahus Lächeln mit radikalen Parolen. Da wurden sie gefeuert und abgemahnt  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Netanjahu lächelt. Israels Ministerpräsident feiert den Sieg von Betar Jerusalem in der nationalen Fußballmeisterschaft. Gegen den Club aus Tel Aviv feiert Betar zum zweiten Mal hintereinander den Sieg in der Meisterschaft. Betar ist konservativ und Likud-nah. Da scheuen sich die Anhänger nicht, Parolen zu skandieren wie „Tod den Arabern“. Zumindest für Sekunden. Das staatliche Fernsehen zeichnet auf und schneidet. Später ist in einer Nachrichtensendung Netanjahu lächelnd zu sehen, im Hintergrund klingen die tödlichen Parolen.

Das war schon vor zwei Wochen. Doch um die Sendung ist ein heftiger Streit im und ums staatliche Fernsehen Israels ausgebrochen, der bis heute andauert. Eine Untersuchungskommission des Fernsehens sollte klären, ob es sich um Manipulation handelt oder nicht. Die Kommission beschloß, zwei Redakteure zu feuern, zwei andere, höherstehende, bekamen einen Vermerk in der Personalakte. Die Kommission kam zur Überzeugung, daß die Journalisten zwei unvereinbare Ereignisse aus politischer Motivation verknüpft hätten.

Die ganze Wahrheit ist dies freilich nicht. Bis jetzt ist ungeklärt, ob Netanjahu den Parolen der Fans von Betar Jerusalem tatsächlich zusah oder nicht. Niemand, nicht einmal Netanjahu selbst, hat bis heute erklärt, daß er den Parolen widersprochen hätte. Die Journalistengewerkschaft protestierte deshalb umgehend.

Und das aus gutem Grund. Seit der Ernennung von Uri Porat, einem Likud-Mann, sieht die Medienwelt in Israel völlig anders aus. Redakteure des staatlichen Fernsehens, die verständlicherweise nicht genannt werden möchten, erklären, daß sie nur Einjahresverträge erhalten. Die können bei politischer Mißliebigkeit jederzeit gekündigt werden. „Wir sind praktisch Freiwild“, sagt ein Redakteur, „nichts wird die Regierung davon abhalten, jede kritische Meinung zum Schweigen zu bringen.“

Die Beziehung zwischen Regierung und den Medien hatte sich bereits abgekühlt, seit eine Fernsehjournalistin in einer Dokumentation die sogenannte Bar-on-Affäre ausgebreitet hatte. Dabei geht es um einen Deal um den Job des Generalstaatsanwalts, in den auch Netanjahu verwickelt sein soll.

Im Streit um den Film mit dem lächelnden Regierungschef sieht die Gewerkschaft jetzt sogar einen „Generalangriff auf die freien Medien“. Seit Wochen fühlen sich die Redakteure des staatlichen Fernsehens unter Druck. Sie fürchten eine Gleichschaltung mit der Regierung. Der Medienausschuß der Knesset, dem israelischen Parlament, wollte sich gestern mit dem Vorgang befassen. Der Vorsitzende des Ausschusses, Jossi Katz, äußerte sich besorgt und „schockiert“ über die Entwicklungen im Medienbereich. Insbesondere kritisierte er das Verhalten des Fernsehchefs, den Konsultationen fernzubleiben. „Ich muß jetzt allerdings erfahren, daß Sie Ihre Zensurbemühungen auch auf die Arbeit des Knessetausschusses ausdehnen“, erklärte Katz.

Der Chef des staatlichen Fernsehens, Uri Porat, begründete sein Fernbleiben damit, daß die Ausschußsitzung einberufen worden sei, ohne ihn vorab über die teilnehmenden Personen zu informieren. Vielleicht hat die Abwesenheit aber noch andere Gründe: Porat leitet das Fernsehen erst seit kurzem und verdankt das Amt Benjamin Netanjahu persönlich.