Für mehr Honorar

■ 3.000 Ärzte protestieren in Berlin gegen zu niedrige Vergütung. Ein Drittel in Finanznöten

Berlin (taz) – Für Brigitte König sind die täglichen Hausbesuche der größte Streß. Dann nämlich behandelt die Hautärztin aus Berlin-Neukölln offene Beine alter Frauen oder pflegt deren durchgelegene Rücken mit Heilsalbe. Ein kurzes Schwätzchen muß auch immer sein, denn häufig ist die Ärztin der einzige Kontakt zur Außenwelt. Doch für diesen Hausbesuch bekommt die Dermatologin mittlerweile nur noch 20 Mark von der Kasse vergütet. Und weil das viel zuwenig ist, demonstrierte sie gestern mit rund 3.000 Kollegen in Berlin gegen die „dramatische Honorarmisere“ der niedergelassenen Ärzte.

Vor dem Internationalen Congress Centrum (ICC), in dem Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) gestern den „Hauptstadtkongreß Medizin und Gesundheit“ eröffnete, forderten Ärzte, aber auch Arzthelferinnen und Patienten eine dem Versorgungsbedarf der Patienten angemessene Bezahlung, kostendeckende Preise für alle medizinisch notwendig erbrachten Leistungen sowie die Abschaffung des komplizierten Punktsystems, nach dem die Leistungen jedes Quartal neu berechnet werden.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung steckt in Berlin rund ein Drittel der 6.100 niedergelassenen Ärzte in finanziellen Engpässen. Dazu zählt sich auch Brigitte König. „Ich muß nicht hungern, aber ich befinde mich nahe am Existenzminimum“, findet die Hautärztin. Sie verdiene rund 5.000 Mark brutto monatlich, behandele täglich bis zu 90 Patienten. Die Kosten für die Praxis verschlängen rund 100.000 Mark jährlich. König, die seit zehn Jahren praktiziert, mußte deshalb schon eine Sprechstundenhilfe entlassen.

„Ich verdiene nur noch an denen, die nicht wirklich krank sind“, sagt die Dermatologin. Also an der Behandlung von Akne bei Jugendlichen oder am Allergietest. Kompliziertere Hautprobleme oder eben Hausbesuche, wo auch mal ein längeres Gespräch notwendig sei, brächten dagegen wenig Umsatz. Ein Besuch beim Doktor ohne Behandlung, aber mit Gespräch bis zu maximal einer Viertelstunde werde mit nur 2,50 Mark vergütet. Die Berliner Ärzte wollen ihren Protest verschärfen: Ab Juni wollen rund die Hälfte der Ärzte nur noch „Dienst nach Vorschrift“ machen. Das bedeutet, daß Sonderöffnungszeiten von Praxen wegfallen, Hausbesuche nur noch stattfinden, wenn sie absolut erforderlich sind. Die Beratung bei Rezeptverschreibungen soll auf kurze Hinweise beschränkt werden. Auch Brigitte König will sich an dem „Streik“ beteiligen. „Vielleicht können wir damit Druck auf Seehofer ausüben.“ Julia Naumann