Fischer bringt Kohl in Rage

■ Heftige Debatte über verstrahlte Castoren

Bonn (taz) – „Wo bleibt denn jetzt von Angela Merkel die Entschuldigung bei friedlichen Demonstranten?“ rief der grüne Fraktionschef Joschka Fischer. Das fragten sich in der gestrigen Bundestagsdebatte über die verstrahlten Atommülltransporte auch andere Redner. Gregor Gysi (PDS) erinnerte daran, daß Innenminister Kanther die Anti-Castor-Demonstranten pauschal als „unappetitliches Pack“ verunglimpft hatte, und stellte fest: „Sie hatten in der Sache einfach recht.“ Michael Müller (SPD) meinte, „kriminelle Energie“ habe es „in erster Linie von der anderen Seite“ gegeben.

Dennoch wird es zu der Entschuldigung bei den Demonstranten wohl ebensowenig kommen wie zu der von den Grünen geforderten Entlassung der Umweltministerin. Die wurde von der Koalitionsmehrheit abgelehnt. Bundeskanzler Helmut Kohl stellte sich sponatn in einem kurzen Redebeitrag demonstrativ hinter Angela Merkel. Sie habe „Hervorragendes für den Umweltschutz“ geleistet. Es sei ein „ziemlich mieses Spiel“, sie als „Erfüllungsgehilfin“ der Atomindustrie zu bezeichnen, wie Fischer das getan habe. Sonst äußerte sich Kohl zum Thema nicht. Wenn das alles gewesen sei, was der Kanzler zu sagen hatte, „dann habe ich den Verdacht: Sie haben etwas gewußt“, meinte Anke Fuchs (SPD). Kohls Kontakte zur Atomenergie seien enger als bisher vermutet. „Stellen Sie sich hier nicht so naiv hin, Herr Bundeskanzler. Sie haben Dreck am Stecken.“

Das Verhältnis der Bundesregierung zur Industrie war ein zentrales Thema der Debatte. Die „Verquickung von Politik und Interessen der Atomwirtschaft“ sei der eigentliche Skandal, sagte Fischer. Umweltministerin Merkel warf er „Vertrauensseligkeit“ und „betreiberfreundlichen Gesetzesvollzug“ vor. Wenn das zuständige Ministerium von den überhöhten Strahlenwerten tatsächlich nichts gewußt habe, dann „frage ich mich, wie ist dieses Ministerium organisiert“, meinte Michael Müller. Zu Angela Merkel sagte er: „Sie kommen aus der politischen Verantwortung nicht heraus.“

Die Ministerin versuchte es immerhin. Niemand geißelte die Versäumnisse der Atomwirtschaft schärfer als sie: „Grenzwerte gibt es nicht aus Jux.“ Überschreitungen seien „unter keinen Umständen hinnehmbar“. Wer wie die Energieversorger „über gesetzliche Regelungen einfach hinwegredet, der braucht sich nicht zu wundern, wenn Vertrauen verlorengeht.“ In den Vorwürfen der Opposition wollte Merkel dennoch nicht mehr als ein „rein wahltaktisches Spiel“ entdecken.

Bettina Gaus Tagesthema Seite 3