Busladungsweise Glauben

■ Großartig, langweilig, großartig langweilig: Lou Reeds neue Live-CD. Er traut keiner Gitarre unter dreißig, aber sehr viel sich selbst. Und der perfekte Sound haut dich mal wieder echt um

Statt einer Kritik im Rolling Stone bloß eine Anzeige: „Perfect Night“ heißt das neue Album – ein sagenhafter Konzertmitschnitt, der nun für immer auf eine Silberscheibe gebannt ist. „Ein Take, eine Nacht, kein Bullshit“, wie Lou Reed es selbst beschreibt.

Im Beiheft der gschmackvoll aufgemachten CD liest man dann eine weitere Folge von Lou in „Ich über mich“, dazu die üblichen Märchen über den perfekten Sound, „amplified purity“, und natürlich ließ sich der Konstrukteur des Amplifiers von einem Lou- Reed-Album inspirieren – „let's see“, überlegt Lou cool, es war „Magic and Loss“, glaubt er.

Und als dann „Perfect Night“ im Juli 1997 in London aufgenommen werden konnte, war Lou „really pumped“, denn er hatte eine Gitarre mit dem Klang von Diamanten, mit einem Sound, den nun also wirklich noch nie jemand gehört hatte...

Viel ist dem nicht mehr hinzuzufügen. Ein paar Geschichten für die Gemeinde vom Meister der Kunst, sich selbst die Eier zu schaukeln, über die wahrscheinlich jeder lacht, außer natürlich unser Lou selbst. „Perfect Night“ (und welche kreative Werbeagentur kam nur auf dieses witzige Wortspiel?) ist perfekte Produktvermarktung, der Inhalt stört nicht wirklich. Die Songs sind großartig und langweilig, schlimmstenfalls beides gleichzeitig.

Die „Time Rocker“-Songs sind angestrengter Mineralwasserrock, ein kunstvoller Theaterabend mit Robert Wilson, gesponsert meinetwegen von Microsoft oder VW. Überhaupt die Musik: Man kennt das ja bereits aus alten Velvet-Underground-Tagen, daß Lou sich heimlich im Studio mit seiner Gitarre sauber in den Vordergrund mischte. Auch heute ist vor allem einer präsent: Lou Reed. Den Rest kann man vergessen, aber allein diese Lou-Reed-Lesung muß man dann doch gehört haben.

Wie distanziert stockend und zögernd er sich an den „Perfect Day“ erinnert, als würde er einen alten Brief vorlesen, den der Dichter in seiner Schublade, ganz hinten zwischen Kaugummis und Pillen, wiedergefunden hat! Oder wie gut immer noch die „New York“- Stories sind mit ihrer Message: daß man sich auf nichts verlassen kann außer auf Brutalität und die rohe Wesentlichkeit eines Gedankens und Klangs, daß man niemandem vertrauen kann und trotzdem eine Busladung Glauben braucht, eine „Busload of Faith“ eben.

Oder wenn er in „Dirty Boulevard“ noch einmal die Geschichte von Pedro erzählt, dem Typen, der jenseits des Wilshire Hotel lebt und auf den Boulevard geht, wo niemand mehr davon träumt, Arzt oder Anwalt zu werden, sondern nur noch davon, auf dem Dirty Boulevard zu dealen. „Did you ever had some rage in your heart?“ brüllt Lou Reed. Am Ende kommt man doch nicht drum rum, ihn zu kaufen. Andreas Merkel

Lou Reed: „Perfect Night“ (WEA)