■ Mit seinem Wahlkampf erweist sich Kohl als letzter Kanzler der BRD
: Der Kalte Krieger mit den roten Händen

1994 wollte der CDU-Generalsekretär Peter Hintze noch „auf in die Zukunft gehen..., aber nicht auf roten Socken“. Der Hauch von Ironie, der Anklang von Dynamik, die in der Botschaft lagen, sie sind verschwunden. 1998 ist für die CDU Schluß mit lustig. „Aufpassen Deutschland!“ Der Feind, vulgo SPD und PDS, ist bereit! Nun könnten natürlich alle, die bereits seit vier Jahren aufpassen, fragen, was eigentlich passiert ist in Sachsen- Anhalt, daß sich die Bedrohungslage so dramatisch verändert hat? Die Grünen sind rausgeflogen, ansonsten ist das Tolerierungsbündnis stabil geblieben.

Haben Peter Hintze und Helmut Kohl hellseherische Begabungen? Immerhin kündigten sie bereits im letzten Oktober einen Lagerwahlkampf an – also lange bevor sich in Magdeburg herausstellte, daß die neue Regierung die alte ist. Keineswegs. Sie haben nur frühzeitig aus den Optionen der CDU die auf Kohl passende destilliert. Schäuble konnte allein dafür sorgen, daß nicht mehr von Lager-, sondern von einem Richtungswahlkampf die Rede ist. Die Richtung bestimmen durfte er nicht mehr.

Für die CDU geht es nun um keine Richtung mehr, sie verteidigt ein Lager. Ihr Lager. Den bürgerlichen Block, der in vierzig Jahren Bundesrepublik über die strukturelle Mehrheit verfügte. In den ist die SPD einmal, Ende der sechziger Jahre, eingebrochen. Es war die Ausnahmesituation eines gesellschaftlichen Umbruchs, mit dem die Aufbaujahre der Bundesrepublik abgeschlossen wurden. Auch diese Umbruchphase wurde, wie zuvor die Nachkriegsperiode, von einem politischen Manichäismus geprägt, dem die CDU ihre hegemoniale Stellung verdankte. Freiheit oder Sozialismus lautete die Alternative.

Nun hätte diese Dichotomie nie ihre Wirksamkeit entfalten können, wenn sie sich allein aus den gesellschaftlichen Erfahrungen gespeist hätte. Erst ihre Einbettung in die Konfrontationslinie des Kalten Krieges verschaffte ihr Wirksamkeit. Die Sozialdemokratie als fünfte Kolonne Moskaus war eines der wirkungsvollsten Bilder der Bundesrepublik.

Aus diesen Jahren rührt die Vorliebe der CDU für die PDS. Die SED-Nachfolgerin erlaubt, das alte Feindbild zu reanimieren, gegen das einst so erfolgreich gestritten wurde. Sie tut im übrigen das ihrige, daß dem angestaubten Gemälde der ein oder andere frische Pinselstrich hinzugefügt werden kann. Mit ihrer Volksfront-Kampagne zeichnet die CDU-Führung wider besseres Wissen nicht nur ein falsches Bild von der Realität in den fünf neuen Ländern – das allein würde schon ihre rapide abnehmende Resonanz bei den dortigen Wählern begründen. Sondern in der Konnotation werden die Bürger auch, ob sie wollen oder nicht, wieder dem kommunistischen Lager zugeschrieben. Eine gefährliche Volte für einen, der sich Kanzler der Einheit nennt. Für ein paar schnöde Prozente schreibt er die Spaltung des Landes fort. Die CDU wird im Osten noch Jahre an dieser Hypothek zu tragen haben.

Für Kohl war bereits 1994 weniger die Wirkung der Kampagne im Osten als im Westen entscheidend. Nun ist eine Wiederholung nie so spannend wie eine Erstausstrahlung. Die Evokation der kommunistischen Bedrohung steht zudem in einem eigentümlichen Kontrast zu dessen allseits gefeierten Niedergang. Im Blick des Historikers, für den sich ja auch Kohl hält, ist die PDS schlimmstenfalls das letzte Zucken einer zu Ende gehenden Epoche. Für die westdeutschen Wähler hat sie an realer Bedeutung abgenommen, allein schon weil die Probleme des Ostens, deren politische Sachverwalterin die PDS ja zu sein vorgibt, sich relativieren an den Widrigkeiten und Krisen, mit denen die Gesamtgesellschaft kämpft. Ost und West sind ein Stück weit normal und sich damit egal geworden. Eine gute Voraussetzung für ein weiteres Zusammenwachsen, eine schlechte, um politischen Urängsten Nahrung zu geben. Diese müssen sich allein aus der Vergangenheit speisen, die Ideologie verkommt zur Phantasterei. Sie wird so phantastisch wie Kohls Aussicht, damit einen Wahlsieg zu erringen. Mit seinem Ende würde der Kalte Krieg endgültig zu Grabe getragen. Dieter Rulff