Italiens Verfassungsreform in Gefahr

Oppositionsführer Silvio Berlusconi mauert mit seiner Forza Italia plötzlich gegen die lang geplante Verfassungsreform. Wenn die Reform tatsächlich scheitert, sind vorzeitige Neuwahlen nicht mehr ausgeschlossen  ■ Aus Rom Werner Raith

Hektische Aktivität, durchmischt mit Phasen starker Resignation, bei Italiens Politikern: Die seit Anfang der Woche schwelende Auseinandersetzung um die Befugnisse des künftigen Staatspräsidenten haben in der abschließenden Beratung des Abgeordnetenhauses zu einer derart verfahrenen Pattsituation geführt, daß die Abstimmungen vorläufig ausgesetzt werden mußten. Kommenden Dienstag soll weiterdiskutiert werden.

Auslöser der Entschließungskrise ist eine Verhärtung der Position Silvio Berlusconis, des Vorsitzenden der größten Oppositionsfraktion, Forza Italia. Zwar hatte er die Kernpunkte der seit Jahren betriebenen Verfassungsreform seinerzeit in den Ausschüssen selbst abgesegnet – jetzt stellt er alles in Frage. Festgebissen hat er sich dabei bei den Kompetenzen, die ein künftiger, vom Volk direkt gewählter Staatspräsident erhalten soll.

Nach dem Kommissionsvorschlag, der unter der Leitung Massimo D'Alemas, des Chefs der größten Regierungsfraktion, PDS, erarbeitet worden war, hat der Staatspräsident gegenüber der heute vorwiegend repräsentativen, „notariellen“ Funktion stärkere Befugnisse etwa bei der Ernennung und Abberufung des Regierungschefs. Er nimmt auch an den Sitzungen des Kabinetts teil und vertritt den Staat in der Außen- und Sicherheitspolitik nach außen. Berlusconi möchte dem Staatsoberhaupt nun auch noch regelrechte exekutive Funktionen zumessen und damit den vom Parlament zu wählenden Ministerpräsidenten endgültig zur reinen Marionette des Staatschefs machen. Das aber geht wiederum weit über das hinaus, was Linksdemokraten und vor allem die kleineren Koalitionspartner der Mitte-links-Regierung zugestehen wollen.

Beistand erhält die Regierungskoalition dabei, etwas unverhofft, von der rechten Nationalen Allianz, die sich damit klar gegen ihren bisherigen Verbündeten Berlusconi stellt. Sie will die Verfassungsreform mit allen Mitteln retten. Hintergrund: Als es 1948 um die Verabschiedung der ersten republikanischen Verfassung Italiens ging, waren die Vorläufer der Nationalen Allianz, die Neofaschisten, als einzige gegen die Konstitution und standen daher seither außerhalb des sogenannten „Verfassungsbogens“, der alle anderen Parteien umfaßte. Mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die von der Nationalen Allianz mitgetragen würde, wäre dieser Makel getilgt, die Rechtsaußenpartei endgültig der Teil der demokratischen Parteienlandschaft geworden – Voraussetzung für eine Anerkennung ihrer Regierungsfähigkeit auch im Ausland.

Auch bei Berlusconi ist das vorgeschobene nicht das wirkliche Motiv: Er möchte im Gegenzug für seine Zustimmung zur Verfassungsreform eine weitgehende Revision des Rechtssystems, wobei insbesondere die Staatsanwälte – bisher in Italien von einer weltweit fast einmaligen Unabhängigkeit – gebändigt und an die politische Leine gelegt werden sollen. Das gäbe dem Mailänder Medienherrscher dann auch wieder Hoffnung, die zahlreichen gegen ihn anhängigen Korruptionsverfahren mit Hilfe der politischen Schiene aus der Welt zu schaffen. Doch noch immer steht das italienische Volk gegen eine solche Mauschelei, weshalb die anderen in diesem Punkt auch nicht nachgeben wollen.

Berlusconi glaubt allerdings seit vergangenen Montag, auf ein neues Druckmittel zählen zu können: Die Kommunal-Teilwahlen liefen für ihn relativ günstig, während die Kandidaten der Regierungskoalition nicht sonderlich gut abschnitten. Eine Neuwahl, mit der Linksdemokratenführer Massimo D'Alema bisher im Falle des Scheiterns der Reform immer gedroht hat, scheint also eher unwahrscheinlich – D'Alema muß, so Berlusconi, wohl oder übel nachgeben.

Doch auch D'Alema steht unter Druck – seine eigenen Parteifreunde, allen voran Parlamentspräsident Luciano Violante, drängen ihn, dem Druck Berlusconis nicht nachzugeben und lieber noch im Herbst zu den Urnen zu rufen. Kommende Woche wohl wird hierfür dann die entscheidende Weiche gestellt.