"Bloß nicht überstürzt losrennen"

■ Existenzgründungen werden oft als Rettung vor der Arbeitslosigkeit gepriesen. Doch viele Unternehmen scheitern. Ein Gespräch über Risiken der Selbständigkeit mit Renate Verter, die gescheiterte Gründer be

Der Bundeswirtschaftsminister jubelte. „Deutschland ist wieder Gründerland“, verkündete Günter Rexrodt (FDP) Mitte Mai in Bonn und zeichnete das Bild eines Landes, in dem wie im Amerika der Goldgräberzeit jeder sein Glück machen könne – diesmal unterstützt durch staatliche Eigenkapitalhilfe und Existenzgründungsdarlehen. Eines aber kann Rexrodt nicht verschweigen: Die Welle der Existenzgründungen wird jährlich von einer beinahe ebenso hohen Zahl zerstörter Existenzen begleitet.

Der Verein „Julateg“ hat sich seit 1995 darauf spezialisiert, gescheiterte Existenzgründer zu beraten. Renate Verter ist eine der vier Mitarbeiterinnen in Prenzlauer Berg und Wedding. Mit ihr sprach Lennart Paul.

taz: Weshalb hat Julateg eine eigene Schuldnerberatung für Existenzgründer eingerichtet?

Renate Verter: Weil wir merkten, daß immer mehr Selbständige zu uns kamen. Die durften wir aber im Rahmen der traditionellen Schuldnerberatung nicht beraten, weil in diesem Bereich Geschäftsschulden ausgeklammert sind. Doch uns war klar, daß diese Gruppe unbedingt Hilfe brauchte, da sie von anderer Seite kaum Hilfe erwarten konnte: Schließlich sind Anwälte und Steuerberater meist selbst Gläubiger und vertreten den Schuldner nicht mehr.

Aus welchen Branchen kommen die meisten Existenzgründer zu Ihnen?

Baugewerbe, Gaststättengewerbe und Einzelhandel sind besonders bedroht. Auch Ärzte suchen immer häufiger bei uns Rat.

Wird Ihnen von scheiternden Gründern das Haus eingerannt?

Allerdings. Schließlich scheitert von den Existenzgründern jeder zweite in den ersten fünf Jahren. Allein 1997 hatten wir 712 Beratungen, rund 100 mehr als 1996. Inzwischen können wir den Ansturm nicht mehr bewältigen. Deshalb haben wir jetzt eine Art Gruppenberatung eingeführt, wo wir im Schnitt 25 Leute zusammenfassen, die alle die gleiche Problematik haben. Dort klären wir allgemeine Fragen, etwa, wie man mit den Gläubigern umgeht oder was eine eidesstattliche Versicherung bedeutet. Die Gruppenberatung soll aber nicht die Einzelberatung ersetzen.

In welcher Verfassung kommen die Menschen zu Ihnen?

Im Durchschnitt sind unsere Ratsuchenden mit 250.000 Mark überschuldet. Das können im Extremfall aber auch schon mal mehrere Millionen sein. Viele leben unterhalb des Sozialhilfeniveaus, und der weitere soziale Abstieg ist vorgezeichnet, weil Mietrückstände da sind und die Räumungsklage läuft. Besonders schlimm steht es auch um die Psyche unserer Klienten. Viele sind selbstmordgefährdet.

Wie läuft eine Einzelberatung ab?

Wir müssen versuchen, unseren Klienten die Angst zu nehmen, ihnen deutlich machen, daß zum Beispiel ein gerichtliches Mahnverfahren etwas ganz Normales ist. Die Gläubiger suggerieren in ihren Drohbriefen nämlich oft, daß das Gefängnis auf die Schuldner wartet. Da können wir fast immer schnell beruhigen. Anschließend bemühen wir uns, unseren Klienten den Lebensunterhalt zu sichern. Viele sind hochqualifizierte Fachleute, die aufgrund ihrer Ausbildung bald wieder einen Arbeitsplatz finden. Kaum haben sie wieder Arbeit, gehen die Gläubiger auf sie los und pfänden ihren Lohn. Da versuchen wir, mit den Gläubigern Vereinbarungen zu treffen und zum Beispiel Vergleiche zu schließen.

Gelingt es Ihnen, Selbständige vor dem Konkurs zu retten?

Wir arbeiten mit einem Unternehmensberater zusammen, an den wir unsere Klienten verweisen können. Der überprüft, ob das Unternehmen sanierungsfähig ist. Dann teilen wir uns die Arbeit. Ich versuche, mit den Gläubigern Stundungsvereinbarungen zu treffen, bis die Sanierungsmaßnahmen greifen. Gläubiger sind ja in der Regel nicht daran interessiert, daß die Unternehmen untergehen. Seit 1995 haben wir rund 50 Unternehmen retten können.

Politiker und Wirtschaftsvertreter preisen Existenzgründung oft als Königsweg aus der Arbeitslosigkeit. Wie sehen Sie das?

Uns ärgert, daß man in den Wirtschaftskreisen immer von der natürlichen Auslese des Marktes spricht. Die Leute werden durch die Arbeitslosigkeit aber in die Selbständigkeit geradezu reingedrängt. Es machen sich ja auch Leute selbständig, die nie selbständig sein wollten. Sie sind darauf ungenügend vorbereitet, da ist Scheitern schon vorprogrammiert.

Welche Grundregeln sollte man auf dem Weg in die Selbständigkeit beachten?

Erstens: Durch nichts unter Zeitdruck setzen lassen. Bloß nicht losrennen und sich schnell selbständig machen, weil der Chef gesagt hat, daß man in zwei Wochen entlassen wird. Das ist der größte Fehler, den viele Existenzgründer machen. Zweitens: Das Marktverhalten prüfen. Einzelhändler sind oft glücklich, eine billige Ladenmiete zu finden. Sie hatten aber nicht die Umgebung ihres Geschäfts geprüft. Gründer müssen sich fragen, wie die Alters- und Sozialstruktur des Viertels aussehen, ob es eine Laufgegend ist und wie es um die Konkurrenz bestellt ist. Drittens: Selbständige sollten in der Lage sein, ihre eigene Buchhaltung zu machen. Hier versäumen es viele, sich schulen zu lassen.

Wenn ein Unternehmen gescheitert ist, sollte man so schnell wie möglich aufgeben und sich nicht daran festbeißen. Eine intensivere Vorbereitung auf die Selbständigkeit, bei der auch die Konzepte der Existenzgründer von Fachleuten durchleuchtet werden, würde uns viel Arbeit ersparen.