Village Voice
: Brandenburgische Bergmusik

■ Minitchev wohnen in der Teenage-Garage, Rope eröffnen ein Hotel

Auf halber Strecke zwischen Fernsehturm und Friedrichstraße operiert mit Basis Berlintokyo die entzückende Krachcombo Minitchev, deren mit zehneinhalb bewegenden Miniaturen versehene „Fucky EP“ verschiedenste Vorteile aufweist. Noch bevor das große Rappeln im Karton instrumentelles Punkethos und vokalen Popcharme aufeinander losläßt, besticht die Covergestaltung: Die gesamte Auflage wurde von Sängerin Evelin individuell gestaltet – und zwar nicht mit Gießkannen voller Acryl im Pollockschen Dripping-Verfahren, sondern akkurat mit Filzer, Kreide und Tusche im japanischen Manga- Style.

Das vorliegende Exemplar illustriert das Dilemma der Band: Zwei niedliche Gestalten stehen in einer türkisgrünen Landschaft herum, im Hintergrund lauern zwei magentafarbene Riesenboxen, und ein einfliegendes Krakel-Insekt ruft: „Hello elementar kidrock rebels!“ Muß denn wirklich alles immer so supersüß sein, Leute? Gewiß ist im Zeitalter der zehnmal digital nachbearbeiteten 64-Spur-Aufnahmen eine Aufnahmequalität zwischen Gully und analogem Anrufbeantworter wie ein Statement gegen die frischverputzte neue Weltordnung aus VIVA, Shopping Mall und jungdynamischem Gitarrenpop aus der Ralley- Ecke. Aber irgendwie wirkt das nonchalante Herumprobieren an kratzigen Gitarren, Dumpf- Drumkit und Cheapo-Elektronik vom Flohmarkt doch wie eine verschlafene Erinnerung an das große Frühneunziger LoFi- Ding.

Der gerne bemühte Pastels- Vergleich hinkt jedenfalls gewaltig und ließe sich höchstens durch eine obskure Ergänzung retten: So klängen die Pastels, spielten sie sturzbetrunken „Kill Yr. Idols“ von Sonic Youth nach. Doch wann tun die das schon? So bleiben Minitchev vorerst im künstlich verlängerten Teenage- Garagenfilm gefangen.

Von mindestens mittlerer Reife kündet dagegen „Rope Hotel“, Debüt der Tür an Tür mit dem elektronauten-Label Data-Error lebenden Formation Rope. Vielleicht, weil Mastermind Janek Siegele alias Jayrope bereits auf einen ganzen Haufen Erfahrung zurückgreifen kann: Lange mit dem Akkordeon auf Country- und Bluegrass-Festivals im wilden Südwesten der USA unterwegs, entwickelte er dort Visionen von Weite, die im Berliner Häusermeer umzusetzen natürlich keine Kleinigkeit ist. Erst nach einem längeren, als „Brandenburg Mountain Music“ beschrittenen Folk-Umweg entdeckte Siegele, der beim Oberkrachterroristen Alec Empire für die Aufnahmen zuständig ist, die in der großen elektronischen „Bubble-Machine“ versteckten Möglichkeiten, mit Dub als Fundament kleine Unendlichkeiten inmitten all der Hektik zu entwerfen.

Gelungen an diesem Abenteuer in dunklen Blautönen ist dabei die Gratwanderung zwischen der Sehnsucht nach einem aktuellen Bild örtlicher Großstadt-Vibes, wie sie sich beim beschwingten Durchwandern nächtlicher Riesenbaustellen einfinden, und der unfreiwilligen Tourismuswerbung. Nicht ganz so drastisch wie im Hotel California geht es im Rope Hotel zu, doch das Betreten des Geländes findet wieder auf eigene Gefahr statt, und bei allem Groove wird von den hypnotischen Loops auch flott verschlungen, wer bis zehn nicht gefrühstückt und bezahlt hat. Gunnar Lützow

Minitchev: The Fucky EP (Fucky Laibel); Rope: Rope Hotel (Geist/Indigo)