„Jeder stiftet, was er kann“

■ Brauchen wir ein Bundeskulturministerium? Gespräch mit der Grünen-Politikerin Antje Vollmer über Kultur und Föderalismus nach 1989, europäische Interessenvertretung und das Menschenrecht auf Stiftungsgründung

taz: In der letzten Zeit ist der Ruf nach einem Bundeskulturminister immer lauter geworden. Auch Sie haben dafür plädiert, ein solches Amt einzuführen. Was versprechen Sie sich davon?

Antje Vollmer: Ich glaube, es ist das richtige Signal auf dem Weg nach Europa. Die meisten anderen Länder haben schon jetzt ein Kulturministerium. Die Deutschen dagegen bleiben auf europäischer Ebene in der Regel ohne Stimme, weil sich die sechzehn Kultusminister der Länder untereinander nicht abstimmen und auch mit anderen Fragen befaßt sind.

Bedeutet das, daß der Föderalismus in Sachen Kultur gescheitert ist?

Nein, gar nicht. Nach 1948 ist Kultur bewußt und aus gutem Grund föderal organisiert worden, als Kontrast zu der dröhnend-nationalistischen Rolle, die sie während des Nationalsozialismus spielte. Heute aber konzentrieren sich die föderalen Kultusminister vorrangig auf Schule und Hochschule, und auch das nicht immer mit bestem Ergebnis. Die Kultur wird nur noch quasi nebenbei verwaltet. Außerdem haben wir seit 1989 eine völlig neue Lage.

Das ist unbestreitbar. Andererseits hat sich nach der Wende am politischen System der alten Bundesrepublik denkbar wenig geändert. Warum sollte das ausgerechnet bei der Kultur anders sein?

Wenn man mal schaut, wo die großen, bundesweiten Debatten stattgefunden haben, dann ging es in den meisten Fällen um kulturelle Fragen, die nicht in Länderkompetenz liegen. Ob das nun die Gestaltung der Neuen Wache war, die Rechtschreibreform, das Holocaust-Mahnmal, oder, am Anfang der Ära Kohl, das Haus der Geschichte. In diesem Entscheidungsvakuum hat sich am Ende immer der Kanzler mit einem kulturpolitischen Machtwort durchgesetzt. Und das ist das Problem: Wenn eine neue Aufgabe entsteht, greift irgend jemand zu. Das ist nicht gerade das Niveau, auf dem sich die kulturpolitische Diskussion bewegen sollte.

Aber ist das nicht eine Illusion, ein Kulturmensch, der plötzlich alles zum Guten wendet?

Solange man ihn oder sie nicht hat, ist das natürlich ein Wunschtraum. Aber wenn es erst einmal soweit ist, ist das doch eine schöne Möglichkeit, wie Semprun in Spanien, Malraux oder Jack Lang in Frankreich gezeigt haben. Im Moment ist es doch so: Auswärtige Kulturpolitik macht Herr Kinkel. Er macht sie schlecht, wie man an der Schließung der Goethe-Institute oder bei der Debatte um die „Beutekunst“ gesehen hat. Die Filmförderung ist teilweise im Wirtschaftsministerium angesiedelt und teilweise im Innenministerium. Nun kann man Herrn Kanther alles mögliche nachsagen, unter anderen ist er als Denkmalschützer gar nicht so übel, aber daß Film zu seinen Kompetenzen gehört, würde ich bestreiten. Dann hat sich auch noch der Finanzminister unrühmlich zu Wort gemeldet mit dem Sponsorenerlaß oder der Besteuerung auswärtiger Künstler. Beide Male hatte er von der Materie überhaupt keine Ahnung. So haben wir eine Fülle von Zugriffen, aber nie eine konzentrierte Planung.

Könnte man das nicht billiger haben? Muß es gleich eine neue Verwaltung sein, ein neuer, per se träger Apparat?

Ich bin mir sicher, es gäbe da genügend Aufgaben, verglichen, sagen wir mal, mit einem Frauenministerium. Am besten wäre, jemanden zu holen, der selber aus dem Bereich der Kultur kommt, also einen Künstler oder eine Künstlerin.

Da Sie eben Frankreich erwähnt haben: Dort wird seit einigen Jahren unter großem finanziellem Aufwand versucht, relevante Kulturinstitutionen nicht nur in Paris, sondern auch in den übrigen Landesteilen zu gründen. Ist es nicht so, daß da Fehler ausgebügelt werden, die man hierzulande bisher vermieden hat?

Die föderale Struktur in Deutschland funktionierte, solange wir in Wachstumshaushalten gedacht haben und sich jeder Ministerpräsident außer einem stattlichen Sozialhaushalt auch noch die Kultur als Standortvorteil geleistet hat. Heute sieht das anders aus. In einer Situation, in der alle Haushalte unter Druck stehen, kann man das Zusammenstreichen der Kulturetats auf föderaler Ebene besser verstecken. Das wäre bei einer zentralen Behörde nicht so einfach möglich. Wobei ich die föderalen Kultusministerien gar nicht auflösen möchte.

Hätte ein Künstler oder eine Künstlerin in einem deutschen Kabinett denn überhaupt eine reelle Chance?

Das hängt sehr von der Person ab. Sie müßte unabhängig genug sein, dem Regierungschef Paroli zu bieten. Es ist ja interessant, daß man nicht einmal zu Zeiten Willy Brandts willens war, etwa einem Günter Grass, der sich dafür wunderbar geeignet hätte, eine solche Aufgabe anzubieten. Die Politik muß begreifen, daß zu einer Citoyen-Republik auch gehört, daß sie in einem sichtbaren Dialog mit der Kultur des Landes steht. Und umgekehrt müssen die Künstler erkennen, daß man sich nicht total korrumpiert, wenn man auf Zeit auch mal politische Verantwortung übernimmt. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Als ich in das Präsidium des Bundestages kam, habe ich den Vorschlag gemacht, ob man nicht einmal oder zweimal in der Legislaturperiode das Bundestagsforum für Literaten öffnet. Und sich anhört, was die zu sagen haben. Der Ort wäre das Thema.

Was ist aus dem Vorschlag geworden?

Er ist nicht durchgekommen, und zwar in doppelter Hinsicht. Es sollte ein Vorgespräch geben, daran waren relativ wenige Dichter interessiert. Und die Politik war auch nicht sonderlich erpicht darauf. Da hieß es: Es gehört zu unseren Regeln, daß wir keine Leute von außen einladen. Das war für mich ein Hinweis, daß noch immer dieses Gefühl vorherrscht, es mit völlig getrennten Sphären zu tun zu haben.

Vorausgesetzt, es kommt zur rot-grünen Koalition. Wird es den Kulturminister dann in der nächsten Legislaturperiode geben?

Das wäre vermutlich zu früh. Von mir aus könnte der sofort anfangen, aber ich glaube nicht, daß man sich so schnell zusammenraufen könnte. Man muß sich zuerst mit den Ländern einigen, damit das nicht in einer gegenseitigen Blockade endet. Immerhin gibt es inzwischen einen Allparteien-konsens, im nächsten Bundestag wieder einen Kulturausschuß einzusetzen.

Ein anderer Bereich, im dem Sie sich engagieren, betrifft das Stiftungswesen. Sie möchten es einfacher machen, Stiftungen zu gründen. Weshalb?

In Deutschland werden derzeit Jahr für Jahr ungefähr 300 Milliarden Mark vererbt, während der ganze Bundeshaushalt nur 450 Milliarden beträgt. Ich möchte deshalb einen Anreiz schaffen, daß sich der „unbekannte Reiche“ in seiner unmittelbaren Umgebung kulturell und sozial outen kann, und zwar in seiner eigenen Generationenhandschrift.

Aber das kann man doch auch jetzt schon tun, Geld spenden...

Die aktuelle Gesetzgebung sieht so aus, daß dem, der eine gute Idee hat und sein Geld investiert, zugemutet wird, sich einer staatlichen Kontrolle zu unterziehen, ob denn sein Stiftungszweck auch richtig und für das Gemeinwesen akzeptabel ist. Die Schwulenforschung beispielsweise hatte es schwer, das gleiche gilt für die Frauenforschung. Dieses Konzessionssystem wollen wir abschaffen. Wir möchten, daß jeder zum Notar gehen kann und eine Stiftung anmelden. Wir wollen ein „Recht auf Stiftung“.

Kulturinstitutionen, die nicht Stiftungen sind, haben wenigstens nominell eine Art demokratisch legitimiertes Kontrollgremium. Bei Stiftungen, wo der Stiftungsrat oft genug mit den Gründern der Stiftung identisch ist, existiert so etwas nicht. Wie wollen Sie verhindern, daß ein Stiftungsrat unzulässigen Einfluß nimmt?

Leichter wird es sein, festzustellen, ob er die Gelder der Stiftung mißbraucht. Was wir wollen, ist eine Offenlegung der Verwaltung, so wie in den USA. Das wird eine Menge an Akzeptanz bringen. Ob die Gelder gemeinnützig in Sinne des Stiftungszwecks verwendet werden, regelt wie bisher das Finanzamt.

Was sind die Kriterien, die eine Stiftung erfüllen muß, um den Status der Gemeinnützigkeit zu erhalten?

Das Kriterium ist: Ich bin ein Mensch, der Geld hat. Und ich verzichte dauerhaft auf dieses Geld, das heißt, ich entziehe es meinem privaten Vermögen. Dann suche ich mir einen Zweck, zum Beispiel die Unterstützung eines Theaters, die Einrichtung einer neuen Schule, eines neuen Lehrstuhls. Oder ich tue mich mit mehreren Leuten zusammen in einer „Bürgerstiftung“. Wir wollen ja nicht nur den einen großen Reichen ansprechen, sondern auch die vielen kleinen Erben.

Also das amerikanische Modell: ein Schritt hin zu mehr gemeinnütziger Arbeit. Die Menschen sollen selber mehr Verantwortung übernehmen.

Jeder stiftet, was er kann. Wer Geld hat, gibt Geld. Und wer Zeit hat, der stiftet die in Form von aktiver Beteiligung an einzelnen Projekten. Ich denke, wenn man auch und besonders in der Linken akzeptieren würde, daß es durchaus ehrenwert ist, da etwas zu tun, dann würde sich manche intelligente Phantasie in eine andere Richtung orientieren, als das im Moment der Fall ist. Es geht um Anteilnahme, um Engagement. Wenn jemand für eine Stiftung arbeitet, dann investiert er eine Menge Zeit, fühlt sich verantwortlich. Da wird mehr freigesetzt als nur der reine Geldstrom. Es ist letztlich ein Kampf um das kreative Potential von Leuten, die sich sonst immer nur an den Staat wenden, ohne selbst in den Prozeß dieser Reformlaboratorien mit einzusteigen.

Heißt das, daß sich der Staat aus seiner Verantwortung für die Kultur verabschiedet?

Nein, aber wir werden die Kulturhaushalte auf Dauer nur verteidigen können, wenn gleichzeitig klar wird, daß dies eine Gesellschaft ist, in der sich die Bürger auch aus eigenem Antrieb vernünftig und verläßlich kulturell und sozial engagieren. Interview: Ulrich Clewing