Eine Dramaturgie für Schröders Reisen

Die SPD sichert ihren Wahlkampf auch außenpolitisch ab. Nach Israel stehen jetzt noch Warschau, Straßburg und Washington auf Schröders Programm. „Das Interesse an der SPD ist diesmal enorm.“  ■ Aus Bonn Jürgen Gottschlich

„Ich möchte das Gespräch mit Ihnen in Washington fortsetzen. Kommen Sie doch bald mal vorbei.“ Erstmals, staunte der Spiegel, ist mit diesen Worten ein Kanzlerkandidat aus Deutschland von einem US-Präsidenten eingeladen worden, anstatt auf eigenes Drängen nach Washington zu pilgern. Ist der große Clinton vom Potomac bei seiner ersten Begegnung mit dem kleinen Clinton von der Leine also gleich dessen Charme erlegen?

Ganz unabhängig davon, ob sich da eine neue Männerfreundschaft anbahnt, war die Einladung für Gerhard Schröder jedenfalls alles andere als eine spontane Geste. Bis in die Formulierung hinein hatten die Experten beider Seiten das Treffen Clinton/Schröder am Rande des Deutschland-Besuchs des US-Präsidenten zuvor abgesprochen – ein Erfolg SPD-eigener Außenpolitik, die dafür sorgen soll, daß ein Regierungswechsel in Deutschland weltweit, vor allem aber bei den wichtigsten Verbündeten, wohlwollend zur Kenntnis genommen wird.

Einer, der für dieses Ziel seit Wochen durch die Welt jettet, ist Günter Verheugen, außenpolitischer Koordinator der SPD-Fraktion. Moskau, Prag, Paris, Stockholm, aber auch Teheran, Sarajevo und Oslo standen in den letzten zwei Monaten auf seinem Reiseplan. Vor zwei Wochen begleitete ihn die taz zu einem Kurztrip in die georgische Hauptstadt Tiflis. Obwohl er kaum noch in Bonn ist, kann er nicht allen Einladungen folgen: „Das Interesse an der SPD ist enorm. Vor ein paar Tagen hat erst der japanische Ministerpräsident angefragt, ob ich nach Tokio kommen könnte, um die Vorstellungen Gerhard Schröders zu erläutern.“

Im Ausland stellt Günter Verheugen fast überall mit Genugtuung fest, daß man sich diesmal tatsächlich auf einen Wechsel in Bonn einstellt. „Der Unterschied zu 94“, meint er, „ist schon erstaunlich.“ Er muß es wissen, denn 1994 war er als Bundesgeschäftsführer für den Wahlkampf von Rudolf Scharping verantwortlich. „Wir mußten damals selbst bei unseren Freunden gegen viele Vorbehalte ankämpfen. Auch die sozialdemokratischen Regierungen haben uns 1994 nicht wirklich unterstützt.“ Das ist jetzt ganz anders. „Das sozialdemokratische Europa hofft auf einen Regierungswechsel. Die sehen doch alle, daß Kohl am Ende ist.“

Anders als vor vier Jahren wird jetzt bereits im Vorfeld eines möglichen Regierungswechsels zusammengearbeitet. Ab August übernimmt Österreich für ein halbes Jahr die EU-Präsidentschaft, ab Januar 1999 sind dann die Deutschen dran. Da trifft es sich, daß in Wien Parteifreunde regieren, die die Freunde in Bonn schon einmal „briefen“ können, wenn die tatsächlich übernehmen müßten.

Um außenpolitisch nichts anbrennen zu lassen, wird der auf diesem Feld unerfahrene Schröder Schritt für Schritt auf seine zukünftige Rolle vorbereitet. Für seine Auslandsreisen gibt es bis zum Wahltag eine sorgfältig geplante Dramaturgie. Schröder soll sich nach seinem Israel-Besuch bis zur Sommerpause noch durch drei programmatische Reden in Warschau, Straßburg und Washington profilieren. Nur Moskau wird der Kandidat nicht besuchen. „Jelzin ist einfach zu sehr auf Kohl fixiert, da werden wir keine Peinlichkeit riskieren.“ Trotzdem macht Verheugen sich um das Verhältnis zu Rußland keine Sorgen. „Die SPD hat in Moskau viel breitere Beziehungen als Kohl oder die CDU. Wir haben einen Bypass um Jelzin herum gelegt und auch im Regierungsapparat viele Ansprechpartner. Das wird letztlich kein Problem, weil auch Jelzin natürlich darauf angewiesen ist, mit jedem deutschen Bundeskanzler zusammenzuarbeiten.“

Ein anderer alter Freund Helmut Kohls hat schon jetzt keine Bedenken, den Emmissär der SPD herzlich zu umarmen. Eduard Schewardnadse, der mit Gorbatschow dafür sorgte, daß die DDR und die anderen osteuropäischen Satellitenstaaten friedlich den Herrschaftsbereich Moskaus verlassen durfen, der Mann, dem Bonn nach wie vor hoch anrechnet, daß 1989 keine sowjetischen Panzer rollten, ließ es sich nicht nehmen, Verheugen in Tiflis persönlich zu empfangen. Hoch über der Stadt, das Gästehaus der Regierung liegt in einem Park, den Stalins Schlächter Berija anlegen ließ, stieß Schewardnadse in herzlichster Atmosphäre mit dem SPD- Mann auf die deutsch-georgischen Beziehungen an.

Entscheidend für einen reibungslosen außenpolitischen Machtwechsel ist aber immer noch die Haltung der USA. „Die Amerikaner haben erklärt, daß sie sich im Wahlkampf neutral verhalten werden“, versichert Günter Verheugen. Auch eine rot-grüne Koalition sei in Washington mittlerweile kein Schreckgespenst mehr. „Die entscheidenden Leute in der Clinton-Administration wissen, daß sich das politische Spektrum der Grünen selbst innerhalb der Spannbreite der Demokratischen Partei unterbringen ließe.“

Trotzdem will man sich in der SPD keine Blöße geben. „Mit einer sozialdemokratischen Regierung wird es keinen Nato-Austritt geben.“ Das Thema würde in Koalitionsverhandlungen erst gar keine Rolle spielen. „An diesem Punkt gibt es keinen Verhandlungsspielraum, da bekommen die Grünen noch nicht mal einen Prüfauftrag.“

Ansonsten sieht Verheugen allerdings eine breite außenpolitische Übereinstimmung zwischen Rot und Grün. „Neunzig Prozent sind unstrittig.“ Das gelte auch für Menschenrechtsfragen in der Außenpolitik.

Oberste Maxime Verheugens ist: miteinander reden, den Kontakt nicht abreißen lassen. Allerdings habe die SPD aus der einseitigen Fixierung auf Regierungskontakte während der Entspannungspolitik gelernt: Stabilität ist nicht alles, Dialog muß auch ein gesellschaftlicher Dialog sein. Mit dieser Vostellung ist er jüngst auch nach Teheran gereist, um sich vor Ort über den Spielraum des neuen Präsidenten Chatami und dessen Mannschaft zu informieren. „Ich bin dort auf großes Interesse gestoßen und habe viele offene Türen vorgefunden.“

Welche Schwierigkeiten die Parole: „Wir reden mit allen“, in der Praxis machen kann, mußte die SPD erfahren, als Gerhard Schröder sich mit dem weißrussischen Diktator Lukaschenko traf, obwohl der Europarat darum gebeten hatte, daß Lukaschenko nicht empfangen werden sollte. Die anschließende Kritik läßt Verheugen aber kalt. „In Weißrußland ändert sich auch nur was, wenn man den Leuten deutlich die Meinung sagt. Dafür muß man sie aber auch treffen.“ Er selbst wird demnächst auch noch nach Minsk fahren.

Bei aller Professionalität in der außenpolitischen Absicherung des SPD-Wahkampfes, eine Frage, die immer gestellt wird, läßt sich noch nicht beantworten: Wer kommt als SPD-Außenminister in Frage? Formal, der parteiinternen Hierarchie entsprechend, hat sich Rudolf Scharping die Option auf das Außenamt gesichert. Scharping würde aber viel lieber Fraktionschef bleiben. Dann gäbe es verschiedene Möglichkeiten, die alle von der jeweiligen Koalition abhängen.

Da die SPD felsenfest davon ausgeht, daß sie in einer großen Koalition der stärkere Partner wäre, ginge daß Außenamt an Rühe, Seiters oder Waigel. Bei Rot-Grün könnte es Fischer machen oder eben Scharping. Sollten allerdings die Bündnisgrünen andere Prioritäten setzen und Scharping Fraktionschef bleiben, hätte wohl auch Verheugen eine Chance auf den Außenministerposten.