Paradox: Erst nach den Atomtests in Pakistan und Indien sieht sich China in seiner sicherheitspolitischen Rolle aufgewertet. Dabei machten die beiden Staaten nichts anderes als das Reich der Mitte auch: Sich ab und an mit einem nuklearen Bö

Paradox: Erst nach den Atomtests in Pakistan und Indien sieht sich China in seiner sicherheitspolitischen Rolle aufgewertet. Dabei machten die beiden Staaten nichts anderes als das Reich der Mitte auch: Sich ab und an mit einem nuklearen Bömbchen in der Weltpolitik zurückzumelden.

Stabilität auf destruktivem Niveau

Nichts hatte der chinesische Partei- und Staatschef Jiang Zemin sehnlicher erwartet als jenen Anruf aus Washington auf der Hotline der Präsidenten. Jiang selbst half während seines Amerika-Besuches im vergangenen Herbst, sie einzurichten. Doch nun klingelte es in Peking zum Auftakt eines bislang einmaligen chinesisch-amerikanischen Krisenmanagements in Atomfragen. Es ging in dem Telefonat zwischen Jiang und Clinton am letzten Montag um nichts geringeres als die pakistanischen Atomtests.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte: So sieht Peking den bisherigen Krisenverlauf in Südasien. Zwar zögerte die chinesische Regierung, einer gemeinsamen Resolution des UNO-Sicherheitsrates zuzustimmen, die nach den indischen auch die pakistanischen Atomversuche verurteilt. Doch dürfte Peking nach der gebotenen Geste gegenüber dem befreundeten Pakistan auf die UNO-Linie einschwenken.

Längst haben die Chinesen die vorläufige Gleichung der Krise erkannt: Je mehr der Konflikt zwischen Neu-Delhi und Islamabad ausartet, desto mehr wiegt der Stabilitätsfaktor China. Ohne viel zu tun, streicht Peking aufgrund der eroberten Ostprovinzen Tibet und Xinjiang einen Vertrauensbonus ein. Denn wie bisher nur in Nordkorea, ist der Westen auf die Zusammenarbeit mit China angewiesen, will er den regionalen Krisenherd kontrollieren – zumal in Kaschmir, wo die Volksrepublik sowohl mit Indien als auch mit Pakistan eine Grenze teilt.

Der neu demonstrierte Atomdialog mit Washington, so sehr er China weltpolitisch auf- und den Rivalen Indien abwertet, konnte freilich die pakistanischen Atomtests nicht verhindern. Die von Clinton angemahnte Kritik Chinas kam, aber sie kam zu spät. Das spricht Bände über die Lücken in der asiatischen Sicherheitskooperation. Seit Ende des Kalten Krieges ist davon die Rede, daß der größte Kontinent über kein angemessenes politisches Frühwarnsystem verfügt. Und hier muß sich China an die eigene Nase fassen.

Jahrelang verhinderte Peking einen Sicherheitsdialog mit den USA, Japan und den südostasiatischen Ländern, weil es seine eigene Stärke als nicht ausreichend empfand, um gegenüber den übrigen Vormächten der Region eine Verhandlungsposition einzunehmen. Zu dieser Zeit hielt man es wie heute Indien und Pakistan: ab und zu ein Atomtest, um sich weltpolitisch wieder in Erinnerung zu bringen. Insofern verfolgt jetzt insbesondere Indiens Regierung eine chinesische Linie.

Allerdings dürften sowohl Peking als auch Tokio das nukleare Risiko in Südasien langfristig unterschätzt haben. Denn Indien und Pakistan bildeten für beide Großmächte Ostasiens bislang keine strategischen Faktoren. Aus neuen regionalen Organisationen wie Apec, EAEC etc. wurden sie ferngehalten. Statt dessen gab es Entwicklungshilfe, die jetzt gestrichen wird.

Interessant sind deshalb auch die Rückwirkungen der Krise auf das pazifische Dreieck China/Japan/USA. Japan kann jetzt als einzige Nicht-Atommacht glaubwürdig protestieren. Daß es gestern – als bislang größter Geldgeber Pakistans – alle Hilfe aussetzte, ist keine Überraschung. Sollte allerdings der amerikanisch-chinesische Atomdialog bald zu gut und unter Ausschluß Tokios funktionieren, dann könnte die Hotline eines nicht mehr undenkbaren Tages nach dem ersten japanischen Atomtest klingeln – und zwei Wochen später nach dem koreanischen. Georg Blume, Peking