Zwischen Multikulti und Kommerz

■ Der Karneval der Kulturen zog an Pfingsten zum drittenmal durch Kreuzberg. Mehr als 150.000 BesucherInnen sahen die Kreuzberger Mischung aus Samba und Techno, aus Kultur und Kommerz

Mit Schnauzer, Hawaii-Hemd und beseeltem Lächeln bearbeitet der Ethno-Fan auf seinem Lastwagen die Bongos. Beim „Karneval der Kulturen“ fühlt sich der bleiche Europäer sichtlich wohl – ringsum bunte Kostüme: auf den Wagen der dunklen Samba-TänzerInnen, im Trupp der Kung-Fu- Athleten und auch am Straßenrand. Am Sonntag haben sich in Kreuzberg all diejenigen getroffen, deren Kultur sonst in Berlin kaum sichtbar wird: die ethnischen Minderheiten ebenso wie die Verrückten und Mutigen dieser Stadt.

TänzerInnen von „Afoxe Loni“ bestreuen zu Ijexa-Klängen die Straßen mit Blumen und geweihtem Wasser, „um die Herzen zu reinigen“. Im Vorbeifahren beugen sich ImmigrantInnen von einer Ladefläche und verteilen rote Schleifen als Zeichen gegen Aids. Ekstatisch schlägt die bezopfte Blonde einer Kreuzberger Rhythmusschule die Trommel. Von einem Lkw klingt Barriga. „Holger's Freunde“ haben sich auf ihrem Wagen eine gemütliche Biertischatmosphäre geschaffen. Und auch der Jugendtreff aus der Krummen Straße jault zu TechnoKlängen.

Sechs Wochen vor der Love Parade hat Berlin sein ganz spezielles Spektakel ausgerichtet. Mehr als 150.000 haben ein Fest gefeiert, das es eigentlich nur in Kreuzberg geben kann. Doch aus dem multikulturellen Karneval wurde in diesem Jahr eher eine Multikulti-Love- Parade. Eine Touristenattraktion mit Samba, Reggae und immer wieder Techno, mit BerlinerInnen aus 60 Ländern, aus Peru, aus Rußland, aus Brasilien, aus Korea und vor allem aus Kreuzberg. Nur die türkischen BewohnerInnen des Bezirks blieben dem Fest größtenteils fern.

94 geschmückte Wagen zogen vom Mariannenplatz über die Oranienstraße, die Reichenberger Straße bis zum Oranienplatz. Der Zug, der um 13 Uhr gestartet war, brauchte Stunden, um sich durch die Menge, die sich am Straßenrand und in den anliegenden Kneipen versammelt hatte, zum Ziel durchzuschlagen. Vertreten waren zusammen auf einem Wagen das Radio Multi-Kulti, die Ufa-Fabrik und der Fußballclub Tennis Borussia. Diverse lateinamerikanische, afrikanische Bars und Restaurants hatten ebenso einen Lkw auf die Multikulti-Meile geschickt wie Off-Theater, Jugendprojekte, die Grünen und die Neuköllner Jusos, die unter ihrem Motto „Wir haben Euch lieb“ durch Kreuzberg steuerten.

Ein Fest, an dem alle in Berlin lebenden ImmigrantInnen teilnehmen können – mit diesem Plan war die Werkstatt der Kulturen 1996 angetreten, als sie den Karneval der Kulturen ins Leben rief. Inzwischen hat sich der Karneval zu einem Organisationsapparat mit fester Route, lizenzierten Getränkeständen und gesponserten Wagen entwickelt. Doch während der berühmte Karneval im Londoner Stadtteil Notting Hill als Touristenmagnet von der Stadt gefördert wird, so beklagen sich die VeranstalterInnen, gibt der Senat zu der Berliner Veranstaltung keinen Pfennig dazu. babs