Pakistan kündigt Ende der Atomtests an

■ Nach einer weiteren Kernexplosion koppelt Islamabad Verhandlungen mit Indien an eine Lösung des Kaschmir-Konflikts

Dehli (taz) – Zwei Tage nach seiner ersten Testserie hat Pakistan am Samstag einen weiteren Atomversuch durchgeführt – nach offiziellen Angaben der sechste. Die Explosion fand erneut in den Chagai-Hügeln in der Provinz Baluchistan statt. Der pakistanische Staatssekretär Shamshad Ahmed erklärte anschließend, damit sei die Versuchsserie beendet, die durch die indischen Atomexplosionen notwendig geworden sei. Pakistan wolle kein Wettrüsten, sagte Ahmad.

Premierminister Nawaz Sharif gab zu Protokoll, er sei zu Verhandlungen über einen Nichtangriffspakt mit Indien bereit, fügte aber hinzu, dies bedinge eine Lösung des Kaschmir-Konflikts – eine Hürde, die beide Länder in den letzten fünfzig Jahren nicht überwinden konnten. Indien reagierte diesmal betont zurückhaltend. Jaswant Singh, der Vertraute von Premierminister Atal Bihari Vajpayee, zeigte sogar Verständnis für den pakistanischen Schritt und bekräftigte das indische Test- Moratorium.

Dagegen fielen die Reaktionen im Ausland bedeutend harscher aus als zwei Tage zuvor. Einzig die Resolution des UNO-Sicherheitsrats begnügte sich wegen chinesischer Vorbehalte damit, ein „tiefes Bedauern“ auszusprechen. Die Bundesregierung in Bonn bezeichnete die Tests als „absolut unverantwortlich“, während US-Präsident Bill Clinton umgehend die gesetzlich vorgeschriebenen Sanktionen in Kraft setzte.

Noch immer herrscht Unklarheit über Zahl und technische Parameter der pakistanischen Tests. Die erste offizielle Erklärung hatte von zwei Tests gesprochen; Abdul Qadeer Khan, der Verantwortliche des pakistanischen Atomprogramms, nannte kurz darauf drei, und diese Zahl wurde schließlich von Premierminister Sharif auf fünf verbessert. Auch am Samstag sprachen erste Berichte von zwei Explosionen, bevor Staatssekretär Ahmad dies korrigierte. Khan erklärte, die erste Bombe habe eine Stärke von 30–35 Kilotonnen (KT) gehabt. Australische Wissenschaftler gehen dagegen laut Bericht der Times of India von einer Intensität zwischen 5 und 25 KT aus, und Indiens Verteidigungsminister Fernandes sprach von 10 KT. US-amerikanische Seismologen haben einem Bericht der New York Times zufolge Zweifel an den pakistanischen Angaben geäußert. Im Gegensatz zu Indien hat Pakistan laut Khan keine Wasserstoffbombe gezündet. Vier Sprengsätze hätten zudem eine geringe Sprengkraft gehabt und würden sich für taktische Einsätze eignen. Als Spaltmaterial habe Pakistan angereichertes Uran-235 eingesetzt.

In Pakistan ist der Notstand, der dem Land über die Sanktionen hinweghelfen soll, auf vier Monate ausgedehnt worden. Vorläufig beschränken sich die Maßnahmen auf Devisengeschäfte, sie sollen aber in den nächsten Tagen ausgeweitet werden. Mit dem Notstand sind auch alle Grundrechte außer Kraft gesetzt worden. So können bei den Gerichten keine Klagen wegen Verletzung dieser Rechte eingereicht werden. Vertreter von Menschenrechtsorganisationen kritisierten diese Maßnahmen als einen undemokratischen Schritt von Sharif, der damit jedes Aufkommen von Kritik ersticken wolle. Diese geht vorläufig in der Welle von Patriotismus unter, aber sie wird sich rasch bemerkbar machen, wenn die Notmaßnahmen zu greifen und, wie allgemein befürchtet, die Preise zu steigen beginnen. Bernard Imhasly