Atomwirtschaft entsorgt ihre Entsorgungspläne

■ RWE bringt wegen strahlender Castor-Transporte den Bau von Zwischenlagern an bestehenden AKW-Standorten ins Gespräch. Grüne erklären Bundestagswahl zur Volksabstimmung über Atomkraft

Frankfurt/Main (taz) – Der Atomgigant RWE sieht sich im Zuge des Castor-Skandals zu Zugeständnissen gezwungen. Werner Hlubek, Vorstandsmitglied der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), erklärte am Wochenende, sein Konzern sei bereit, an zwei AKW-Standorten neue Zwischenlager zu bauen. Dies könne dann notwendig werden, „wenn Castor-Transporte aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr möglich sind“. Hlubek nannte die Standorte Biblis und Gundremmingen als mögliche Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente.

Neue Zwischenlager hatten die Stromkonzerne bisher immer abgelehnt. Eine Genehmigung, so ihre Befürchtung, könnte sich über Jahre hinziehen. Zudem besitze man mit den Zwischenlagern Ahaus und Gorleben zwei millionenteure Standorte.

Ohne neue Zwischenlager bei den AKWs, ohne die derzeit ausgesetzten Transporte nach Gorleben und Ahaus oder zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und England wäre die Lagerkapazität im Atomkraftwerk Biblis aber in zwei Jahren erschöpft, so Hlubek. Dann müßten die Reaktoren A und B abgeschaltet werden. Bei anderen Atomkraftwerken ist die Lagerkapazität schon in wenigen Monaten erschöpft.

Daß Brennelemente bis zur Endlagerung bei den AKWs zwischengelagert werden müßten, hatte zuvor schon der Atomexperte des Öko-Instituts in Darmstadt, Michael Sailer, gefordert. Als Voraussetzung dafür nannte er einen Atomausstiegsbeschluß. Zwischenlager an den AKW-Standorten würden zwar die Brennelementetransporte überflüssig machen. Doch eine zwingende Notwendigkeit zur Abschaltung der Atomkraftwerke bestehe danach nicht mehr. Die Betreibergesellschaften könnten dann ihre neuen Lager noch auf Jahrzehnte nutzen.

Für die heutige Konferenz der Atomminister in Bonn haben die UmweltministerInnen der Bündnisgrünen, Priska Hinz aus Hessen, Bärbel Höhn aus Nordrhein- Westfalen und Senator Alexander Porschke aus Hamburg, das RWE-Angebot bereits in ihren Forderungskatalog übernommen: Sie fordern, „abgebrannte Brennelemente bis zur Endlagerung in den jeweiligen Atomkraftwerksstandorten zwischenzulagern“. Zudem seien die Transporte abgebrannter Brennelemente nach La Hague und Sellafield nicht nur vorübergehend auszusetzen, sondern „sofort und endgültig“ zu beenden.

Hessens Umweltministerin Priska Hinz hat den Vorstand von RWE für heute zum Rapport nach Wiesbaden einbestellt. Sie wirft dem Konzern vor, schon seit 1987 von Grenzwertüberschreitungen bei Behältern mit abgebrannten Brennelementen gewußt zu haben. Die hessische Atomaufsicht sei darüber von RWE aber „niemals informiert worden“, konstatiert Hinz. Parallel dazu hat Hinz ein Verfahren zur Prüfung der Zuverlässigkeit von RWE eingeleitet. Auch PreussenElektra und die Bayernwerke hätten seit Mitte der 80er Jahre gewußt, daß Atomtransporte aus ihren AKWs über die zulässigen Grenzwerte hinaus strahlten. Die umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen, Michaele Hustedt, sprach deshalb von „organisierter Kriminalität“. Die Hamburger Electrizitäts- Werke (HEW) prüfen inzwischen die Einleitung rechtlicher Schritte wegen Verleumdung gegen Hustedt. Die Bündnisgrünen haben gestern angekündigt, die Bundestagswahl zur „Volksabstimmung über einen Ausstieg aus der Atomkraft“ machen zu wollen.

Das Bundesumweltministerium steht erneut in der Kritik. Nach ARD-Informationen war die Behörde seit 1985 detailliert über das Risiko überhöhter Strahlung von Atommülltransporten informiert. Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) habe 1985 das Innenministerium und 1990 das inzwischen geschaffene Umweltministerium ausführlich über Schwachstellen an den Atommüllbehältern unterrichtet, so das Magazin „Plus- Minus“. Die taz hatte bereits in der letzten Woche auf entsprechende Unterlagen verwiesen. Das Ministerium besteht dagegen weiterhin darauf, weitgehend ahnungslos gewesen zu sein.

Klaus-Peter Klingelschmitt

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