Die Stadt der Bruderliebe

■ American Pie: Heute abend starten die Basketballer der Utah Jazz in Salt Lake City ihren zweiten Versuch, die Chicago Bulls zu entthronen

The day the music died

Berlin (taz) – Beim Stierkampf gibt es eine eherne Regel: Nie darf ein Kampfstier, der seine Stippvisite in der Arena aus irgendeinem seltenen Grund überlebt, noch einmal zum Duell mit den Toreros antreten. Die Tiere sind nämlich keineswegs so blöd, wie sie sich gemeinhin benehmen, sondern wissen beim zweiten Mal, daß nicht das rote Tuch die eigentlich interessante Sache ist, sondern das, was sich dahinter verbirgt. Auf einen ähnlichen Effekt – nur umgekehrt – hoffen von heute an die Utah Jazz bei ihrem Kampf um die NBA-Meisterschaft gegen die Chicago Bulls.

Erstmals hatte das Team aus Salt Lake City im vergangenen Jahr die Finalserie erreicht und es wie die meisten Newcomer nicht geschafft, jenen Basketball zu spielen, der die Mannschaft während der gesamten Saison ausgezeichnet hatte. Besonders Starspieler Karl Malone war, vor allem in den ersten Partien, nur ein schwacher Abklatsch jenes Akteurs, der kurz zuvor zum besten Spieler der Saison (MVP) gewählt worden war. Immerhin steigerte sich Utah in eigener Halle, verlor die Best-of-seven-Serie gegen die Bulls aber in sechs Partien.

Diesmal soll alles anders werden, zumal die Jazz jetzt Heimvorteil haben. Zwar gewannen sie exakt genauso viele Saisonspiele wie Chicago (62), entschieden aber die beiden direkten Aufeinandertreffen für sich und dürfen darum die zwei ersten Spiele in eigener Halle bestreiten. Besonders wichtig: Auch ein entscheidendes siebtes Match würde im Delta Center von Salt Lake City stattfinden, wo die anerkannt lautesten Fans der Liga zu Hause sind.

Die beiden besten Mannschaften im Finale, das sollte für allgemeines Frohlocken sorgen – und NBA-Boß David Stern sagt auch tapfer, daß man sich kaum etwas Besseres wünschen könne. In Wahrheit hätten er und die meisten Nordamerikaner lieber die flamboyanten Los Angeles Lakers im Finale gesehen als die hölzernen Routiniers aus der Mormonenstadt mit ihrem ewigen Pick and Roll, ihrer enervierenden Freiwurfstärke und ihrer stocknüchternen Effizienz. Doch die Lakers wurden von Utah geradezu brutal in vier Partien aus den Play-offs gefegt, während Chicago die gesamte Serie spielen mußte, bis es sich die widerspenstigen Indiana Pacers endlich im siebten Match vom Hals schaffen konnte. Auffallend dabei besonders, daß Michael Jordan, MVP dieser Saison, in den Schlußphasen schwächelte und Dennis Rodman weit weniger Rebounds erhaschte als normalerweise.

Grund zum Optimismus für Utah, obwohl Rodman auch im letztjährigen Finale kaum in Erscheinung getreten war. Damals hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, die Mormonen und ihre langweilige Metropole zu schmähen, diesmal erklärt er ironisch: „Ich freue mich darauf, in die Stadt der brüderlichen Liebe zurückzukehren.“ Auch Michael Jordan ist optimistisch, daß Rodman gegen Utah seine alte Form wiederfindet. „Ich hoffe er kann sich für das, was letztes Jahr passiert ist, rehabilitieren“, sagt der 35jährige, der genau weiß, daß Rodmans Präsenz unter den Körben diesmal noch wichtiger ist. Die Bulls haben nämlich niemanden mehr, der für ihn in die Bresche springen könnte, so wie es Brian Williams (inzwischen Detroit Pistons) 1997 bravourös tat.

Während die Bulls erst am Sonntag das letzte schwere Match gegen die Pacers bestritten, konnte sich Utah zehn Tage lang ausruhen, was nach Meinung von Indianas Coach Larry Bird nicht unbedingt ein Vorteil sein muß. „Ich habe einmal acht Tage auf das Finale warten müssen, da hast du keine Chance, in Form zu bleiben“, erzählt der frühere Superstar der Boston Celtics. „Es war schrecklich“, kommentiert Utahs Greg Foster die Zwangspause, und Jeff Hornacek fügt hinzu, daß diese sich höchstens dann als Vorteil erweisen könnte, wenn man das erste Spiel gewinne und danach die frischere Mannschaft sei.

In Chicago besteht weiterhin Ungewißheit darüber, wie es mit dem ruhmreichen Team weitergeht. Besitzer Jerry Reinsdorf signalisierte zwar überraschend, daß er bei erfolgreicher Titelverteidigung alle Verträge um ein Jahr verlängern wolle, doch Coach Phil Jackson spricht nach wie vor vom „letzten Tanz“ der großen Bulls- Dynastie. Zumindest Scottie Pippen (32) wäre mit dem Einjahresvertrag kaum zufrieden, er will auf seine alten Basketballtage noch einmal richtig absahnen und strebt als free agent einen Mega-Deal für mehrere Jahre irgendwo an. Jordan scheint, was seine Zukunft betrifft, unentschlossener denn je, im Hinblick auf die Finalserie sprüht er dagegen vor Kampfeslust. „Wir mögen ein wenig müde sein“, sagte er nach dem Pacers-Match, „aber unsere Herzen sind nicht müde.“ Matti Lieske