Václav Klaus meldet sich zurück

Knapp zwei Wochen vor den Parlamentswahlen in der Tschechischen Republik sind der Ex-Premierminister und seine bürgerliche ODS wieder stark im Kommen. Derzeit sieht alles nach einer großen Koalition aus  ■ Aus Prag Sabine Herre

Václav Klaus ist wieder da. Kein halbes Jahr ist vergangenen seit dem Rücktritt des Premierministers, keine fünf Monate seit der Spaltung seiner Partei. Doch nun ist die bürgerlich-demokratische ODS erneut dabei, zur stärksten rechten Organisation Tschechiens zu werden. Und nicht nur das. Václav Klaus auf dem Wahlparteitag Ende Mai: „Noch im Januar war es unser Ziel, nicht von der politischen Bühne zu verschwinden, im April wollten wir stärkste rechte Partei werden. Heute kämpfen wir mit den Sozialdemokraten um die Macht im Land.“ Entsprechend positiv sind die Prognosen: Nach 9 Prozent zu Jahresbeginn kann die ODS heute mit rund 19 Prozent rechnen. Der Skandal um die Finanzierung der Partei, der im Dezember zum Rücktritt von Klaus geführt hatte, wurden nach einer umfassende Überprüfung der Buchführung durch ein unabhängiges Gremium für beendet erklärt. Zwar sei nicht alles ganz sauber zugegangen, doch nun laute der Wahlslogan: „Kopf hoch“.

Doch während die ODS ihre schnelle Wiederauferstehung feiert, kämpfen diejenigen, die ihre Krise auslösten, bereits ums politische Überleben. Die Freiheitsunion US von Ex-Dissident und Ex-Innenminister Jan Ruml liegt nur noch bei sieben Prozent. Doch nicht nur die WählerInnen haben ihre Präferenzen erneut geändert. Gerüchte, daß unzählige ODS- Mitglieder und selbst einige Abgeordnete in ihre alte Partei zurückkehren möchten, verstummen nicht. Jan Ruml ist enttäuscht: „Die US ist eine Partei, die die Menschen zwingt nachzudenken. Doch heute wollen viele nicht nachdenken. Sie wollen eine Partei mit autoritären Zügen.“

Tatsächlich ähnelt die Union dem in der samtenen Revolution entstandenen Bürgerforum, auch wenn sie dies nie zugeben würde. Viele Mitglieder kommen aus dem Umfeld der Charta 77, ihre Schlagworte lauten: bürgerliche Gesellschaft und Selbstverwaltung, und vielen gilt sie als eine Partei, die eigentlich von Staatspräsident Václav Havel geführt wird. Und obwohl Jan Ruml nicht müde wird, seine Partei als rechte Partei zu bezeichnen, die keinesfalls mit der sozialdemokratischen CSSD koalieren werde, fordern US und CSSD eine stärkere Förderung von Bildung und Kultur – Bereiche, die von Klaus dem „freien Spiel des Marktes“ überlassen wurden.

Das Problem der US ist, daß sich in diesem Wahlkampf für Bildung und Selbstverwaltung fast niemand interessiert. Denn Klaus ist es gelungen, die Entscheidung am 19. und 20. Juni zu einer über „Leben und Tod“ zu machen: Fortsetzung des Weges, den das Land 1989 eingeschlagen hat, oder Rückkehr zu sozialistischen Experimenten, so lauten die scheinbaren Alternativen. Den Sozialdemokraten unter Führrung von Milos Zeman ist diese Form des Lagerwahlkampfs gerade recht.

„Verbrannte Erde“ würden die Neoliberalen hinterlassen, das Land sei ausverkauft worden, ökonomisch sei die Lage schlechter als vor 1989. Und weil die CSSD trotz eines Stimmenanteils von rund 26 Prozent nicht allein regieren kann, setzt sie neben einer Koalition mit den Christdemokraten (6 Prozent) inzwischen auch auf eine Zusammenarbeit mit der Partei „Rentner für ein sicheres Leben“ (DJZ). Deren Programm ist einfach und erfolgreich: Mit der Forderung nach regelmäßiger Anpassung der Renten, einem kostenloses Gesundheitswesen und der Wiedereinführung der Todesstrafe ist die Rentner-Partei mit rund 10 Prozent inzwischen drittstärkste Kraft geworden. Daß nicht wenige Politiker der DZJ ihre Karriere in der KPC begonnen haben, scheint die CSSD trotz oder gerade wegen einem Parteibeschluß gegen jede Zusammenarbeit mit den Kommunisten nicht zu stören.

Doch eigentlich haben die Sozialdemokraten keine andere Wahl. Rechnet man zu den Stimmenanteilen der Renter-Partei die von KP und nationalistischen Republikanern hinzu, wird deutlich, wie schwierig die Regierungsbildung werden wird. Demnach können die extremen Parteien rund ein Viertel der WählerInnen hinter sich vereinen, im neuen Parlament werden sie mit rund 70 Sitzen stärker vertreten sein als die Sozialdemokraten. Und selbst eine Koalition aller rechten Parteien dürfte rund 7 Sitze weniger haben.

Andere Zahlen sprechen eine noch deutlichere Sprache zur Lage in einem Land, das jahrelang den Umbau nahezu problemlos zu schaffen schien: Neun Jahre nach der Wende sind rund 70 Prozent der TschechInnen mit der politischen Situation unzufrieden. Rund die Hälfte meint, daß es ihnen vor 1989 besser ging. Zwar belegen die ökonomischen Daten, daß dies nur für die RentnerInnen zutrifft und der Lebenstandard der Mehrheit deutlich gewachsen ist. Entscheidend jedoch ist die „dumme Stimmung“, von der Václav Havel bereits Ende des Jahres sprach, nachdem erneut Unregelmäßigkeiten bei der Privatisierung bekanntgeworden waren. Die Ansicht, daß der Kapitalismus nur wenigen dient, um reich zu werden, läßt die Forderung nach einem starken Wohlfahrtsstaat laut werden.

Was an politischen Möglichkeiten nach den Wahlen bleibt, ist somit nur eine große Koalition aus ODS und CSSD, doch eine solche wird von beiden Seiten öffentlich entschieden abgelehnt. Tatsächlich sind Sozialdemokraten und Konservative nicht allzu weit voneinander entfernt. Fast wie ein Sozialdemokrat verhinderte Klaus jahrelang die Freigabe der Mieten. Eine weniger strenge antiinflationäre Politik der Nationalbank wird zur Ankurbelung der Wirtschaft von CSSD und ODS – wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß – gefordert. Und: Auch die CSSD strebt nun einen Haushalt an, in dem die Neuverschuldung das Maastrichter Dreiprozentkriterium nicht übersteigt. In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, in dem sie ihr Wirtschaftsprogramm nicht in Richtung ODS korrigierten. Einige CSSD-Politiker wären, so verlautet aus gut unterrichteten Kreisen, froh, wenn sie nicht allein regieren müßten. Václav Klaus ist wieder da.