Mit Schaum vor dem Mund

■ Frankreich: Den streikenden Piloten schlägt Neid entgegen

„Die verdienen ja soooo viel“, merken viele KommentatorInnen an, wenn sie den Streik der PilotInnen der Air France kritisieren. Dann listen sie die niedrigeren Saläre von PilotInnen im Rest Europas auf, beschreiben den großen Unterschied zwischen den Bezügen von fliegendem und Bodenpersonal bei Air France, lamentieren über das Los von Fußball-WM-BesucherInnen, die als „Geiseln“ genommen werden, und kommen zu dem vernichtend gemeinten Verdikt: Besitzstandswahrung.

Recht haben sie. Die Air-France-PilotInnen sind mit Spitzensalären von bis zu 15.000 Mark nicht schlecht bedient. Und das erkämpfte Lohnniveau wollen sie nicht verlieren. Auch nicht, wenn die Unternehmensleitung taktisch geschickt die WM als Termin wählt, um auf ihrem Rücken 500 Millionen Franc einzusparen. Und erst recht nicht, wenn diese radikale Streichung gleichzeitig mit einer Unternehmensbilanz bekannt wird, die einen historischen Rekordgewinn von knapp zwei Milliarden Franc verzeichnet.

Leider vergessen die KommentatorInnen über dem Anstacheln von Neid die Gründe dieses Streiks. Air France, ein Staatsunternehmen, das mit öffentlichen Mitteln saniert wurde und erst seit kurzem Gewinn abwirft, soll privatisiert werden. Zu diesem Zweck will die Unternehmensleitung die Löhne senken, will niedrigere Lohngruppen für Berufsanfänger einführen, will die Personalkosten insgesamt reduzieren. Sie will nicht etwa den Profit an die unteren Lohngruppen umverteilen, sondern das Unternehmen den künftigen Aktionären „börsenfähig“ servieren.

Wenn die PilotInnen streiken, verteidigen sie neben ihrem Besitzstand auch ein altes Prinzip: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Und das ist wiederum eine Forderung, die bei zahlreichen Rationalisierungen von Staatsunternehmen, die privatisiert werden sollen, von Aktualität ist. Sowohl bei den oberen Lohngruppen als auch bei den unteren. Die KommentatorInnen mit dem Schaum vor dem Mund unterstellen, daß es einen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Streikrecht gibt. Wohlweislich definieren sie nicht, wo letzteres anfängt: bei britischen PilotInnen, bei polnischen? Tatsächlich untergräbt die Neidkritik Grundrechte wie das auf Streik und auf gewerkschaftliche Organisation. Sie verteidigt ein europaweit grassierendes Prinzip: Soziale Errungenschaften gehören abgeschafft. Dorothea Hahn

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