Viel Amiland in Australien

■ „Kiss or kill“: Mysteriös anziehendes Roadmovie des in Australien hochgeschätzten Bill Bennett in der Schauburg

Der australische Regisseur Bill Bennett hetzt sein junges Liebespaar durch sein Heimatland. „Wir sind zwar nicht am Arsch der Welt, aber von hier aus kann man ihn sehen.“ Eigentlich repräsentiert dieser Arsch nur sehr bedingt Australien. Die Ästhetik der Landschaft ist zu nicht geringen Anteilen amerikanischen Roadmovies entsprungen: die tiefgelegten Horizontlinien, die einsamen Tankstellenzapfsäulen in einem Meer von Nichts, die Bahnschranke im Abendlicht. Dem fünften Kontinent wird eine eigenständige Sinnlichkeit versagt.

Am Anfang der unfreiwilligen Reise stehen läppische Vergehen: Die junge, zarte Nick schmeißt sich an widerliche Geschäftsreisende ran, um sie zusammen mit ihrem Lover auszuplündern. Doch eine Horde Polizisten im Nacken und ein geheimes Pornovideo eines berühmten Footballers in der Hand, verschärft sich die Situation sukzessive: brennende Menschen, pfeifende Kanonenkugeln, durchgeschnittene Kehlen. Die Täter kennen wir nur zum Teil. Diese Logik der unentrinnbaren Radikalisierung erinnert ein bißchen an „Thelma und Louise“.

Gegenüber Fremden sind die beiden Flüchtigen ängstlich, abweisend, aggressiv. Doch unter ihnen herrscht glasklare Liebe. Dieser scharfe Kontrast von Innen- und Außenbindungen läßt uns ein wenig an „Natural born Killers“ denken. Doch in manchen Momenten sickert das Klima des Verdachts auch in die Seelen unseres Paars ein. War das nicht schon so in „Atemlos“? Am Ende sind die beiden von allen Mordbeschuldigungen freigesprochen und spielen Partnerschaftsparadies. Doch eine Stimme aus dem Off schürt Zweifel. Vielleicht ist Nick ja doch eine lebensgefährliche Psychopathin. Diese auf den Kopf gestellte Dialektik – von zarter Skepsis zur Beruhigung und wieder zurück zur Unsicherheit – machte aus „Basic Instinct“ einst ein Meisterwerk.

Erinnerungssplitter an die Kinogeschichte zwischen Roadmovie, Verfolgungsjagd, Psychothriller durchsetzen den Film. Übelnehmen tut man es ihm erstaunlicherweise nicht. Die Vorlagen treten immer ein wenig schräg ins Bild. Man weiß nicht, ist es Versehen oder Absicht. Und das ist angenehm.

Der Regisseur möchte viel: Die nachstellenden Bullen wollen charakterisiert werden, natürlich nicht durch biographischen Käse, sondern wie üblich durch Spleeniges, Randständiges: zum Beispiel die spezifische Art der Benutzung von Sonnenmilch und Speck. Psychologie wird in konzentrierter Form verabreicht. Wenn ein Bulle aus dem Lebenslauf der beiden liest, hört sich das an wie aus dem soziologischen Musterbuch gescheiterter Kindheiten. Andererseits verweigert sich der Film natürlich auch modisch der Psychologisierung, liebt es, seine Zuschauer im Dunkeln tappen zu sehen, keine Erklärungen finden zu lassen, Handlungsschnipsel zu zeigen, die erst zu einem viel späteren Moment einzuordnen sind. Dieses wilde, ambitionierte Puzzle der Genregepflogenheiten ist nicht immer wohlgekittet. Aber genau das hat einen unentrinnbaren Charme. Der existentialistische Sog von Ausweglosigkeit und Unsicherheit ist so groß, daß der Zuschauer mitfiebert und sich ergötzt: am witzigen Vergleich einer flachen Landschaft mit einer Pizza; an mysteriösen Erzählungen von Kindern, die in Erdlöchern verschwinden; an Motels, deren Speisesaal nur in Socken und Schuhen betreten werden darf; am Lebenstraum vom Surfen auf Bali, obwohl doch Nicks Lover gar nicht surfen kann. bk