Motor trifft auf Aura

■ Nicht allzu tief in die Schaffenskrise seines Filmemachers abgetaucht: Olivier Assayas' gelungenes komödiantisches Experiment "Irma Vep"

Nachts in Paris: Zwei junge Frauen auf einem Moped. Zoé (Nathalie Richard) fährt, hinter ihr sitzt Maggie (Maggie Cheung). Die beiden haben gerade ihren ersten Arbeitstag hinter sich. Sehr stressig, trotzdem sind sie auf Anhieb gut miteinander ausgekommen.

Die eine, Zoé, steht ständig unter Strom, die andere, Maggie, ist (und spielt) eine Schauspielerin aus Hongkong. Dort ist sie ein Star, hier eine Fremde. Im Remake eines französischen Stummfilmklassikers, Louis Feuillades „Les Vampires“, soll sie die Hauptrolle der Irma Vep spielen. Um das Kostüm dieser Fassadenkletterin, Juwelendiebin, Bandenchefin, Katzenfrau kümmert sich Zoé; es ist ein Catsuit aus schwarzem Latex. Eine „Comédie Latex“ verspricht das Plakat für „Irma Vep“, den neuen Film von Olivier Assayas. Doch „Irma Vep“ ist auch ein Film über die Arbeit an einem Film. Zum Glück! Denn wie sonst sollte eine Szene wie die, in der Zoé zusammen mit Maggie den Catsuit in einem Sexshop aussucht und anprobiert, das Licht der Welt erblicken? Dreharbeiten sind ja ein ergiebiges Thema für Komödien. Besonders wenn der schon recht angeschlagene Regisseur des Films im Film, René Vidal, von Jean- Pierre Léaud gespielt wird.

Seinen Wunsch, die Rolle Irma Vep mit keiner anderen als Maggie Cheung zu besetzen, hat man ihm erfüllt. Als die Schauspielerin in Paris ankommt, ahnt sie allerdings noch nichts von Vidals bizarrer Cinéastenidee, das Remake nicht nur in Schwarzweiß, sondern auch noch als Stummfilm zu drehen. Nach Vorführung der ersten Ergebnisse rastet Vidal aus. Warum eigentlich, darauf gibt der Film keine eindeutige Antwort. Wie es überhaupt eine gute Idee von Assayas war, nicht allzu tief in die Schaffenskrise seines Filmemachers abzutauchen, denn das kann eh niemand besser als Godard. Vielleicht spürt Vidal, wie seine eigenen Bilder der in Latex gekleideten Irma Vep mit ihm Komödie spielen. Daß seine Bilder schwarzweiß und stumm bleiben, kann nämlich nicht vereiteln, daß sie dem Chic eines Werbespots ziemlich nahe kommen. So glänzen sie als Images vor sich hin, während die Bilder Feuillades ihre rätselhafte Ausstrahlung behalten.

Wie der isolierte Insasse einer Kinohöhle, aus der er nicht mehr herausfindet, erscheint Vidal. Vorne aber, auf der Oberfläche des Films, agieren Maggie und Zoé. Zoé (das griechische Wort für Leben) ist der Motor des Films. Maggie die Aura. So verfahren beider Situation, ja, so verschieden ihre Bewegung – und Bewegung ist hier das Wichtigste –, mit Leichtigkeit schafft es Assayas' Film, der einen wie der anderen zu folgen und dabei Spannung aufzubauen.

Der aufgekratzten Zoé folgend, entwirft der Film ein Geflecht der Beziehungen, der Macht-, Spiel- und Zerreißproben zwischen den Figuren, die mit den Dreharbeiten zu tun haben. Es geht dort zu wie bei den Proben zu einer Live- Übertragung. Während Zoé aufdreht und ständig kurz davorsteht, aus der Haut zu fahren, hält Maggie sich in ihrer zweiten Haut, der aus Latex, zurück. In dieser Aufmachung gelingt es ihr auch, Assayas' Film vorübergehend zu „ihrer Art von Kino“ zu verführen, was dieser bereitwillig mit sich machen läßt – und zugleich (dank der großartigen Kameraarbeit Eric Gautiers) mit Freude und Feingefühl dokumentiert. Das, was einen Kinostar ausmacht, die Monumentalisierung von Blicken, Gesten, Posen, gibt ihm oder ihr immer etwas Verklärtes oder Phantomhaftes.

Statt diese Starqualitäten auf die Abstraktion eines Markenzeichens herunterzubringen, was ja dort, wo der Autorenfilm aufs Zitatkino hinausläuft, öfters vorkommt, erobern sich Assayas' Film und sein Star mit bescheidenen Mitteln einen großen Spielraum, um diese Phantomrealität zu verkörpern und neu zu erfinden. Ohne Angst entgleitet dieser Film immer wieder sich selbst. So öffnet er sich auch anderen Bildwelten, ohne sich diese mit Kennermiene einzuverleiben: zwei Szenen aus „Les Vampires“ mit Musidora (was für ein Name für einen Stummfilmstar!) als der original Irma Vep, eine aberwitzige Kampftanzszene aus einer der Hongkongproduktionen Maggie Cheungs, bewegende Momente eines Agitpropfilms aus den späten Sechzigern, eine Art Videoclip zu „Tunic“ von Sonic Youth im Stil von Wong Kar-wai. Wie fremde Lichtquellen fallen diese Bilder in den Film ein. Entspannung findet er schließlich, indem er noch einmal in das Remake abtaucht. Dessen Bilder und Töne sind da bereits (ein Vermächtnis Vidals) in eine sehr abgefahrene Phase (Richtung Stan Brakhage) eingetreten. Trotzdem, ein Bild seines Stars nimmt der Film auch auf diese Reise mit, während Maggie bereits Paris verlassen hat und woanders in die Hände von Ridley Scott zu fallen droht. Wenn dann aber der französische Popsong überhaupt – Serge Gainsbourgs todessüchtiges „Bonnie and Clyde“ (in der exakten Coverversion von Lunas) – läuft, trifft zusammen, wovon „Irma Vep“ sich die längste Zeit ferngehalten hatte – Gangsterpop und Experimentalfilm. „Irma Vep“ führt einen Befreiungsschlag mit leichter Hand. Selber schuld, wer ihn verpaßt. Sebastian Weber

„Irma Vep“. Regie: Olivier Assayas, mit Maggie Cheung, Nathalie Richard, Jean-Pierre Léaud u.a. Frankreich 1996, 96 Min., OmU