Das Volk darf über Schreibregeln richten

■ In Schleswig-Holstein wird es eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform geben. Die Initiatoren konnten weit mehr als die notwendige Zahl von 106.000 Unterschriften sammeln. Vor Abstimmung st

Kiel (taz) – In Schleswig-Holstein wird es — als erstes Bundesland — eine Volksabstimmung über die Einführung der Rechtschreibreform geben. Der Landesabstimmungsleiter, Dietmar Lutz, teilte gestern mit, daß bereits vor der endgültigen Auszählung 160.000 gültige Unterschriften vorliegen. Das sind mehr als die 106.000 benötigten Unterschriften. Damit haben die Reformgegner die zweite Hürde für den Volksentscheid deutlich übersprungen. Die endgültigen Zahlen seien noch nicht ermittelt, da etwa 20 Meldebehörden von fast 240 ihre Ergebnisse noch nicht gemeldet haben. Die abschließende Feststellung des Quorums obliegt nach Angaben von Lutz dem Landtag. Am 11. Juni stellt der Landesabstimmungsausschuß das Ergebnis fest. Der Schleswig-Holsteinische Landtag in Kiel wird sich voraussichtlich im Juli mit dem Ergebnis beschäftigen. Innerhalb von neun Monaten muß nach dem Gesetz der Volksentscheid stattfinden.

Nach den Fristen wäre es möglich, den Volksentscheid auf den Tag der Bundestagswahl, am 27. September, zu legen. Das würde die Chancen der Beteiligung erhöhen, meinte der Sprecher der Initiative, Matthias Dräger.

Doch ob dieser Wunsch der Reformgegner erfüllt wird, liegt an den Landespolitikern. Und bereits beim ersten Volksentscheid in Schleswig-Holstein verweigerten die Sozialdemokraten und Bündnisgrünen der Nordelbischen Kirche das Begehren, am Tag der Kommunalwahl auch die Volksabstimmung zu machen.

Das Ergebnis: Ende November scheiterte das Vorhaben, per Volksentscheid den Buß- und Bettag wiedereinzuführen, an der geringen Wahlbeteiligung.

Für einen Erfolg brauchen die Reformgegner 25 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten, das sind ungefähr 530.000 Stimmen.

Bei der SPD habe man sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt, hieß es gestern. Der kleine Koalitionspartner allerdings tendiert offenbar eher zur Zusammenlegung von Kanzlerwahl und Volksabstimmung über die Rechtschreibreform. Die grüne Fraktionsvorsitzende Irene Fröhlich erklärte, grundsätzlich sei sie der Ansicht, daß ein Volksentscheid ein eigenes Gewicht haben sollte. Aber nach der Erfahrung mit dem Bußtag könne sie sich eine Zusammenlegung vorstellen. Schließlich würde das Land auch Geld sparen. Nach Schätzungen des Kieler Innenministeriums hat der Volksentscheid zum Bußtag das Land etwa drei Millionen Mark gekostet.

CDU und FDP im Kieler Landtag unterstützen den Wunsch der Reformgegner. In Zeiten knapper Kassen könne sich das Land den Luxus eines Extra-Abstimmungstages nicht leisten, hieß es.

Vor dem Entscheid steht allerdings die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe zur Rechtschreibreform aus. Ein Elternpaar aus Lübeck hatte Verfassungsbeschwerde vor dem höchsten Gericht eingereicht. Mitte Juli soll die Entscheidung fallen. Kippt das Gericht die Reform, hat sich auch der Volksentscheid erledigt. Doch der Kläger und Anwalt, Thomas Elsner, sieht noch eine dritte Möglichkeit: Das Gericht gibt den Kultusministern die Gelegenheit nachzubessern. Dann sei die Reform nicht endgültig vom Tisch, der Entscheid weiter aktuell, glaubt Elsner.

Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Gisela Böhrk (SPD) sagte, an den Schulen des Landes werde auch weiterhin nach den neuen Rechtschreibregeln unterrichtet. „Daran ändert sich nichts. Das endgültige Ergebnis des Volksbegehrens bleibt abzuwarten“, erklärte die Ministerin. Sie sei zuversichtlich, daß das Bundesverfassungsgericht am 14. Juli in seiner Einscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Regeln die „behutsame Rechtschreibreform und die problemlose Einführung der neuen Rechtschreibung an über 90 Prozent der Schulen berücksichtigen“ werde. Simone Sigmund