Im Erdbebengebiet droht jetzt eine Hungersnot

■ UN und Rotes Kreuz verstärken Nahrungsmittelhilfen. Es fehlt jedoch an Hubschraubern. Dringlichkeitsappell der UNO an die Mitgliedsländer. Der Krieg geht trotz Katastrophe weiter

Schahar-i-Busurg (AP) – Die Überlebenden des Erdbebens in Afghanistan sind von einer akuten Hungersnot bedroht. Die meisten Bewohner der völlig zerstörten Kleinstadt Schahar-i-Busurg haben seit dem Erdstoß vom vergangenen Samstag nichts mehr zu essen bekommen. Hubschrauber der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes brachten am Mittwoch Plastikplanen und Nahrungsmittel in das unwegsame Katastrophengebiet, wo bis zu 5.000 Menschen bei der Katastrophe ihr Leben verloren und 60.000 obdachlos geworden sind.

Der gestürzte Präsident Burhanuddin Rabbani, dessen Truppen den Norden Afghanistans und damit auch das Katastrophengebiet beherrschen, machte sich am Dienstag in Schahar-i-Busurg persönlich ein Bild von der Lage. Er kritisierte, daß die internationale Gemeinschaft zu langsam auf die Katastrophe reagiert habe. Rotkreuzsprecher Philip Spoerri entschuldigte dies mit einem Engpaß bei Hubschraubern – die einzige Möglichkeit, das Unglücksgebiet zu erreichen. Um dem Abhilfe zu leisten, rief die UNO jetzt alle Mitgliedsstaaten auf, Hubschrauber für den Transport der in den Nachbarländern Pakistan und Tadschikistan bereitstehenden Hilfsgüter zur Verfügung zu stellen.

Der Erdstoß überraschte die Menschen am Vormittag, als die meisten Männer bei der Feldarbeit waren. Sie überlebten deswegen zum größten Teil, während die Frauen und Kinder in den Häusern bei deren Einsturz ums Leben kamen. Viele Menschen weigern sich aus Angst vor Nachbeben, in ihre Häuser zurückzukehren. Selbst Verletzte schlafen lieber auf dem nackten Erdboden im Freien.

Trotz der Naturkatastrophe wütet der Krieg in Afghanistan weiter: Am Mittwoch schlugen zwei Raketen in einem Wohngebiet der Hauptstadt Kabul ein. Dabei wurden sechs Mitglieder einer Familie getötet, wie Beamte der Taliban- Regierung mitteilten. Die Raketen wurden im Norden abgeschossen, von wo aus die Militärallianz Rabbanis die Taliban wieder aus Kabul vertreiben will. Die Frontlinie reicht bis zu 20 Kilometer an die Hauptstadt heran.