Kohl für Kohle, Shell für Sonne

■ Regierung hinkt Industrie hinterher

Berlin (taz) – Bundeskanzler Helmut Kohl hat gestern ein eindrückliches Symbol für seine Energiepolitik gesetzt: In der Lausitz eröffnete er das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe. Nach Lesart der Bundesregierung ein Kraftwerk mit modernster Technik – tatsächlich längst veraltet, denn die Braunkohle an sich ist das Problem, da kann die Technik noch so modern sein. Währenddessen wurde ein paar hundert Kilometer westlich in Gelsenkirchen ein Signal für eine neue Energiepolitik gesetzt: von Shell. Der Mineralölkonzern legte dort den Grundstein für die nach eigenen Angaben größte Solarzellenfabrik der Welt.

Noch immer läuft der Schlagabtausch zwischen Bundesumweltministerin Merkel, den Ländern und der Atomindustrie. Immer mehr deutet auch auf eine Verantwortung von Angela Merkel hin, die offenbar nicht einmal einen Stopp der Castor-Transporte so verhängen kann, daß er auch rechtswirksam ist.

Für Shells Umweltvorstand Fritz Vahrenholt ist klar, daß ab 2020 der Ölabsatz des Konzerns wieder sinken wird, weil nicht mehr soviel Öl gefördert werden kann. „Danach muß die erneuerbare Energie diesen Rückgang kompensieren“, sagte Vahrenholt im Interview mit der taz. Der internationale Chef des Shell-Konzerns äußerte bereits die Vision, „in 50 Jahren könnte Shell 50 Prozent in Öl und 50 Prozent Erneuerbare sein“. Freilich ist Shell da kein Vorreiter. Der US-Gas- und Stromkonzern Enron sowie der Ölmulti BP machten es vor. Auch Shell folgt nur der ökonomischen Vernunft: Wenn Öl und Gas versiegen, brauchen sie ein anderes Standbein.

Doch die Bundesregierung versäumt es, die Sonnen- und Windenergie entschieden zu fördern, verunsichert statt dessen kleine Investoren durch die ständigen Angriffe auf die Einspeisevergütung. Und sie setzt, zusammen mit dem ostdeutsche Stromkonzern Veag, auf Braunkohle, obwohl Braunkohle doppelt soviel Kohlendioxid freisetzt bei der Strom- und Wärmeerzeugung wie Gas. Und setzt weiter auf die Atomindustrie, die sich gerade so kräftig diskreditiert. Dabei ermöglichen es die derzeitigen Strom-Überkapazitäten, selbst ohne das neue Kraftwerk Schwarze Pumpe, aus der Atomenergie sofort auszusteigen. Und wenn eine Bundesregierung entschlossen Energie sparen würde, könnte sie den gesamten Energieverbrauch um ein Viertel bis 2020 verringern, errechnete das Freiburger Ökoinstitut. Wenn sie nur will. Matthias Urbach Siehe Seiten 2, 8 und 9

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