Der weiße Stern über Berlin

■ Roland Klick war das Genre-Talent des jungen deutschen Films. Das Kino in den Hackeschen Höfen zeigt jetzt zwei Wochen lang die wichtigsten Filme des zu Unrecht vergessenen Regisseurs

Der Radio-DJ in seinem Studio hoch über der Stadt setzt düstere Meldungen in Umlauf: „Guten Morgen, Berlin! Dieser Tag hat bereits zwei Herointote gefordert, ein besetztes Haus wurde geräumt, bei Krawallen mit Punks wurden Polizisten schwer verletzt!“ Es ist Winter, Anfang der 80er, und Berlin ist ein Vorhof zur Hölle. Autos und Menschen bewegen sich im dämmrigen Tageslicht wie hinter einem Schleier. Nachts explodiert in den Punkclubs, in den mit Haßsprüchen verschmierten Toiletten, in den düsteren Treppenhäusern und Innenhöfen die Gewalt. Durch die regennassen spiegelnden Pflasterstraßen jagt Dennis Hopper alias Ken Barlow seinen Amischlitten, besessen von einer Vision: Über der verdammten Stadt einen White Star aufgehen zu lassen, einen Popstar, der mit Future, dem Sound der Zukunft, diese apokalyptische Dekade beendet. Wenn Dennis Hopper mit seinem Fanatismus die fettige Luft der Imbißbude am Bahnhof Zoo fast zum Explodieren bringt und sich in seinem hellen Trenchcoat unter dem Schild täglich wechselnder Mittagstisch und Eintöpfe in Rage redet, seine großen Deals entwirft, dann wird klar, daß der Typ eine Nummer zu groß ist für diese Stadt, in der sich die Bewohner längst in den festgelegten Ritualen ihrer Exzentrik eingerichtet haben. Ken Barlows Scheitern in White Star erzählt auch von den gescheiterten Versuchen des besessenen Filmemachers Roland Klick, in diesem Land Kino zu machen, das vom Lebenshunger seiner Akteure vorangetrieben wird, von der Action klassischer Kinofiguren, ein Kino, das keine soziologischen Fälle vorführt.

Schon mit seinem ersten Film „Bübchen“, einem Psychokrimi über einen Elfjährigen, der sein einjähriges Schwesterchen erstickt, erregte der 1939 geborene Regisseur Aufsehen. Für seinen zweiten Spielfilm erhielt er den Bundesfilmpreis, der dieses Wochenende in Berlin wieder vergeben wird. In Deadlock von 1970 zeigen die Rockband Can und der Regisseur Klick, daß es Kino und Musik aus Deutschland mit der Kraft, Weite und Sehnsucht amerikanischer Landschaften geben kann.

Zwei Jahre vor White Star wurde Roland Klick von einer neuen Vision getrieben – der Generation der lebensgierigen Berliner Drogenkids ihren Film zu geben: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo wäre unter der Regie von Klick dieser Film geworden, ahnt man, wenn man Supermarkt von 1973 gesehen hat. I want my celebration before I die heißt der Titelsong des Films, und wenn er läuft, sind das die Momente, in denen Willi, die Titelfigur, einmal nicht auf der Flucht vor der Polizei und Sozialarbeitern von St. Pauli ist, sondern sein eigener Held. Klick und seine Figuren sind Kinder des Rock 'n' Roll: Alles geben, alles auf eine Karte setzen, mit wehenden Fahnen untergehen – nur nicht die vielen kleinen Tode im Leben sterben – jeder Kompromiß einer. Doch kurz vor Drehbeginn 1980 überträgt der Produzent Bernd Eichinger die Regie nach zwei Jahren intensivster Arbeit an Uli Edel. Die Sonnenbrille von Roland Klick sieht aus wie die von Dennis Hopper. Er sitzt in einer schicken Hamburger Bar am Hafen, es ist März 1998. Nach 15 Jahren Abwesenheit wollte er es noch einmal versuchen, hier Kino zu machen. Aber diesem Land fehlt mehr denn je, was es dazu braucht: Imagination. Der Filmemacher gerät in Rage, es wird mal wieder Zeit, von hier abzuhauen. Die nächste Fähre nach England, der Mercedes Kombi verschwindet auf der Elbchaussee.

Dennis Hopper steigt zum letzten Mal in seinen großen Schlitten, sein Gesicht verschwimmt hinter den Regenströmen, aber seine Stimme ist zu hören. Er rechnet mit sich selbst ab, mit dem zu hohen Preis, den er für seine Besessenheit gezahlt hat. Und mit den anderen, diesen ungläubigen Kleingeistern. If you wanna fuck with me, man, fuck with me! Sandra Prechtel

Vom 4. bis 16. Juni, Hackesche Höfe, siehe cinemataz