"Ich habe hohe Erwartungen"

■ Gespräch mit Slobodan Santrac, dem Trainer der jugoslawischen Fußball-Nationalmannschaft, über den WM-Gruppengegner Deutschland, die Politik und seine Wertschätzung des norwegischen Fußballs

taz: Am 21. Juni spielt Ihre Mannschaft bei der WM gegen Deutschland. Wohl nicht gerade Ihr Lieblingsgegner.

Slobodan Santrac: Ich habe schlechte Erfahrungen mit der deutschen Nationalmannschaft gemacht. Schon als Spieler. Ich saß auf der Ersatzbank, als wir 1966 in Hannover 0:2 verloren. Bei der EM 1976 haben wir schon 2:0 geführt, bis dieser Dieter Müller kam und drei Tore machte. Bitter, wir haben 2:4 verloren. Jugoslawien hat 25 Jahre lang nicht mehr gegen Deutschland gewonnen. Aber dieses Mal wird es schwer werden für die Deutschen.

Was stimmt Sie so optimistisch?

Wir haben dazugelernt. Früher lag der Unterschied zwischen deutschen und jugoslawischen Fußballern doch darin: Die Deutschen wußten, daß sie 90 Minuten kämpfen und alles geben müssen. Wir waren oft zu verspielt und nicht clever genug – und haben verloren. Aber seit fast alle jugoslawischen Nationalspieler bei ausländischen Spitzenklubs unter Vertrag stehen, sind sie wesentlich professioneller geworden. Außerdem haben wir die besseren Einzelspieler. Unser Kapitän Stojkovic hat alles, was ein Fußballer braucht, er ist unser Beckenbauer. Dann natürlich Mijatovic. Ich stelle ihn in eine Reihe mit Ronaldo, Möller oder Zidane. Ich traue Mijatovic zu, daß er in Frankreich für Furore sorgt, genauso wie Crespo aus Argentinien, dem Italiener Del Piero und den Spaniern Morientes und Raúl.

Einzelkönner machen noch kein erfolgreiches Team aus.

Wir haben nicht nur Individualisten vorzuweisen, sondern auch Teamgeist. Jeder muß seine individuellen Fähigkeiten den kollektiven Erfordernissen unterordnen. Es ist nicht wichtig, daß Stojkovic, Savicevic oder Mijatovic ständig als Solisten glänzen. Meine Mannschaft hat endlich verstanden, daß nicht ein einzelner den Gegner besiegen kann. Sondern nur das ganze Team.

Die Botschaft von Berti Vogts, „Der Star ist die Mannschaft“, wurde also auch in Jugoslawien vernommen.

Disziplin wird immer wichtiger im Fußball. Die Mannschaften, die in Frankreich diszipliniert auftreten, werden auch gut abschneiden. Wir haben immer noch Respekt vor der Organisation und Ordnung im deutschen Spiel. Aber auch für Berti Vogts ist es nicht mehr so einfach, deutsche Tugenden beliebig abzurufen. Was war denn 1994 in den USA mit den Deutschen los? Keine Technik, keine Taktik, nicht mal Disziplin. Für die Entwicklung unserer Spieler ist es gut, wenn sie in Frankreich, Italien oder Deutschland spielen. Aber ist es für die Nationalmannschaften dieser Länder gut, wenn so viele Ausländer in ihren Ligen spielen? Man wird es bei der WM sehen.

Jugoslawien hat keine Probleme?

In den letzten Jahren ist vieles schlecht gelaufen. Jugoslawien ist durch den Krieg kleiner geworden, die nationale Fußball-Liga spielt auf keinem hohen Niveau. In der Kriegszeit hat sich unser Fußball zurückentwickelt. Wir hatten bei der WM-Qualifikation Probleme, weil wir lange Zeit nicht international spielen konnten. Die jugoslawische Mannschaft hat seit den Qualifikationsspielen für die EM 1992 in Schweden nicht mehr an großen Turnieren teilgenommen. Die Sanktionen gegen Jugoslawien haben uns die Teilnahme an zwei Europameisterschaften und einer Weltmeisterschaft gekostet.

Wer sind Ihre Favoriten bei der Weltmeisterschaft?

Die größten Chancen haben Brasilien, Argentinien, Italien, England, Deutschland und Frankreich. Aber die Wahrheit beim Fußball liegt auf dem Feld. Es gibt einige Teams, die darum kämpfen, im Weltfußball voranzukommen. Vor denen muß man sich besonders in acht nehmen. Die größte Überraschung könnte die norwegische Mannschaft sein. Die hat alles, was im modernen Fußball gefragt ist. Sie könnte für Überraschungen sorgen wie Rumänien und Bulgarien bei der WM in den USA.

Weltmeisterschaften werden von der Politik instrumentalisiert. In Frankreich nehmen zum ersten Mal seit dem Krieg Kroatien und Jugoslawien gemeinsam an einem Turnier teil.

Wir müssen unser Land in Frankreich repräsentieren. Aber wir werden bei der Weltmeisterschaft keine Soldaten in kurzen Hosen auf den Platz schicken, und wir werden uns auch nicht wie Soldaten aufführen. Wir sind Sportler, wir wollen unsere Gegner besiegen – aber im fairen Wettkampf. Spieler, die in Italien, Spanien, Frankreich, England oder Deutschland spielen, haben ohnehin keinen Bezug zur jugoslawischen Politik. Solange ich Nationaltrainer bin, werden wir uns nicht von der Politik mißbrauchen lassen.

In Jugoslawien rufen immer mehr Fußballfans nach einer serbischen Nationalmannschaft.

Sollen sie rufen. Unsere Nationalmannschaft vertritt alle ethnischen Gruppen, die in Jugoslawien leben: Serben, Montenegriner, Ungarn, Moslems und Kroaten. Das kennzeichnet diese Auswahl. Haben die Basken eine eigene Nationalmannschaft? Wie würde es aussehen, wenn Bayern eine eigene Nationalelf stellen würde? Ich glaube, daß der Wunsch nach einer serbischen Auswahl auch die Unzufriedenheit vieler Fans ausdrückt. In Jugoslawien hat man die Marktgesetze des Fußballs noch nicht durchschaut: Anstatt hier im Land attraktivere Strukturen aufzubauen, verkauft man die Talente ins Ausland und macht schnelles Geld. Der Fußball blutet dabei aus.

Diese Unzufriedenheit äußert sich auch in der Gewaltbereitschaft der jugoslawischen Hooligans.

Die jugoslawischen Fußballstadien sind keine Theaterkulissen. Sie sind ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die sind in der Kriegszeit eskaliert, es gibt große wirtschaftliche Probleme, soziale Not und auch Gewalt.

Muß man in Frankreich mit Krawallen jugoslawischer Hooligans rechnen?

Ich glaube nicht. Es ist auch fraglich, ob viele Hooligans nach Frankreich reisen. Aber viele jugoslawische Fans, die in Westeuropa leben, werden das jugoslawische Team anfeuern. Gemeinsam können wir bei der Weltmeisterschaft viel erreichen. Was meinen Sie, wie meine Spieler darauf fiebern, endlich wieder auf der internationalen Bühne zu zeigen, was sie können. Für Spieler wie Savicevic oder Stojkovic ist es doch die letzte Gelegenheit, einen Titel zu holen. Ich habe hohe Erwartungen. Interview: Rainer Schäfer