Das Sorgerecht ist mehr als sein juristischer Inhalt

■ betr.: „Wes Geistes Kind“, von Chr. Gampert taz mag vom 23. 5. 98

Es ist richtig, was der Autor an der Reform des Kindschaftsrechts kritisiert: daß auch nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 1. Juli 1998 eheliche und uneheliche Kinder faktisch nicht gleichberechtigt sind. [...] Er zeigt damit eine tatsächliche Ungerechtigkeit auf, springt aber gleichzeitig in die derzeitige Diskussion um das Sorgerecht hinein, ohne die Inhalte genauer zu betrachten und in Frage zu stellen. Das Sorgerecht ist ein streitbarer, schon fast mythischer Begriff, ein Symbol, das im Trennungsfall häufig als Ausgleich für erlittene Ungerechtigkeit, als Rache, als Maßeinheit „Geld gegen Sorge“, gehandelt wird.

Juristisch stand dahinter bis dato nur ein kurzer Katalog an Entscheidungsbefugnissen, die im Alltag mit einem Kind eher selten auftauchen: das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Vermögenssorge und die Zustimmung zu Heilbehandlungen.

Aus meiner Erfahrung in einer Trennungsberatungsstelle weiß ich, daß sich häufig auch Eltern um das Sorgerecht stritten, bei denen ein Umzug des sorgenden Elternteils ausgeschlossen war und die sich auch sonst über den Umgang mit den gemeinsamen Kindern recht einig waren. Das Sorgerecht ist also als Streitgegenstand mehr als sein juristischer Inhalt. Es ist ein symbolischer Begriff mit großen empirischen Folgen: Viele Väter wenden sich von ihren Kindern ab, wenn ihnen das Sorgerecht aberkannt wurde, sie zeigen sich verantwortlicher, wenn sie die gemeinsame Sorge tragen etc., und all das weit über den Katalog an Entscheidungsbefugnissen hinaus, die das Gesetz beinhaltet.

Mütter wollen die Sorge oft für sich allein, aus Angst, der alte Partner könnte ihnen (weiterhin) in den Alltag hineinreden, oft hilft ihnen die Alleinsorge für das Akzeptieren der Trennung, manchmal wollen sie ihren Ex-Partner durch den Entzug der Sorge „bestrafen“... Was hat das nun alles mit dem Wohl des Kindes zu tun?

Nach dem neuen Gesetz ist das Sorgerecht definiert als ein Entscheidungsrecht zu Fragen, die Auswirkungen auf das zukünftige Leben des Kindes haben werden, z. B. die Wahl der Schule, alle Entscheidungen des Alltags liegen weiterhin in der Hand desjenigen, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat. Wenn Papa das Kind betreut, entscheidet er, ob ein Schwimmbadbesuch angesagt ist, ist das Kind bei Mama, „darf“ sie ihm die Süßigkeiten verbieten...

Für das Wohl des Kindes ist die Frage des Sorgerechts eher zweitrangig, für das Kind ist der regelmäßige Umgang mit beiden Eltern weitaus wichtiger. Es stellt sich die Frage, warum die Erwachsenen für den Kontakt zu ihrem Kind ein gesetzliches Symbol wie das Sorgerecht für so wichtig erachten.

[...] Die Kinder brauchen sorgende Eltern, aber kein Sorgerecht. Es sind die Erwachsenen, die dieses Symbol für sich brauchen. Soll über das Sorgerecht nicht mehr bei Gericht entschieden werden, so hätten andere Stellen Hilfe zu bieten. Eine gute Beratung über den Umgang mit dem Kind und über die Regelungen des Alltags nach der Trennung sind die Steine, die über das Wohl des Kindes entscheiden. Wiebke Wagner, Berlin

Erkenntnisse, die vor 30 Jahren propagiert wurden und nicht alle falsch waren, sind heute nicht mehr in den Köpfen der „Linken“, „Fortschrittlichen“, oder wie sich die alternativen DenkerInnen heute auch nennen mögen. [...] Das Ehe- und Kindschaftsrecht versucht die Machtverhältnisse in einer Konstruktion zu klären, die an sich unlogisch, undemokratisch und falsch ist. „Ehe ist die Institution, in der zwei Menschen versuchen, Probleme zu lösen, die sie nicht hätten, wenn sie nicht geheiratet hätten“ (frei zitiert nach Lucky Luke, Comic-Held).

Die Verbindung zweier Menschen und die Zeugung eines Kindes wirft Fragen auf, die durch Gesetze nicht zu klären sind. Die Lebensfragen von Macht und Verantwortung werden den Menschen deutlich, die unter den Folgen ungeschützten Verkehrs mehr assoziieren als die Aidsgefahr. Wie wär's, wenn sich die jammernden Väter und enttäuschten Mütter einmal mit ihrer Fähigkeit zur Partnerwahl und Gestaltung gleichberechtigter Beziehungen beschäftigen würden? Die Streitigkeiten um Sorgerecht(pflicht) und Aufenthaltsbestimmungsrecht(pflicht), um tatsächliche und finanzielle Personensorgen sind doch eher Folgen der Machtbesessenheit und Verantwortungslosigkeit der „betroffenen“ Eltern! [...]

Warum habt ihr mit falschen PartnerInnen Kinder in die Welt gesetzt, obwohl Verhütungsmethoden vor euch nicht verborgen wurden? [Eine Theorie besagt, daß die „Antibabypille“ die Instinkte der Frau so nachhaltig trübt, daß sie sich im Falle eines Kinderwunsches den falschen Partner wählt ... d. Red.] [...]

Die Kinder tun mir leid, die nichts dafür können, wenn ihre Eltern statt Partnerschaft zu üben Feindschaft pflegen. Aus der Perspektive der Kinder sind leibliche Eltern nicht so wichtig, wie die ErzeugerInnen gern glauben wollen. Ein durch Offenheit und Klarheit geprägtes Umfeld gibt ihnen bessere Chancen als Eltern, die Elternschaft üben, obwohl sie eigentlich noch viel mehr mit sich selbst als mit ihren BeischläferInnen oder den schreienden Produkten einer Bierlaune oder eines Überschwangs an Gefühlen und falschen Emotionen beschäftigt sind.

Partnerschaften und das Leben mit Kindern müssen erlernt werden. Zu diesem lebenslangen Lernprozeß sind nur wenige Menschen bereit und in der Lage. Vater Staat wird's nicht richten, da könnt ihr sicher sein. Wie wär's, wenn ihr euer Leben selbst in die Hand nehmt und statt Lügengebäude zu errichten, (Kinder-)Häuser auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen gleichberechtigten Partnern baut? Euch und den betroffenen Kindern wäre damit sehr geholfen. Achim Brauer, Bergheim (14 Jahre unverheiratet, drei Kinder mit einer außergewöhnlichen Partnerin)

Liebe nichterziehende Väter, euer Gejammer über die bösen Mütter ist mir schon seit Jahren völlig unverständlich. Was wollt ihr eigentlich? Recht haben oder euch um eure Kinder kümmern? Der Essay von Christian Gampert, beispielhaft für eine ganze Reihe ähnlicher Literatur, scheint mehr aufs Rechthabenwollen hinauszulaufen. Was, wenn ich mal so fragen darf, soll sich denn ändern, wenn automatisch, ohne das jemand gefragt wird, beide Eltern das Sorgerecht für gemeinsame Kinder bekommen? Solange sich die Eltern verstehen, ist das wunderbar, sie haben beide das Recht und die Pflicht, die gemeinsamen Kinder zu betreuen und zu erziehen, und tun das ja auch irgendwie. Trennen sich aber die Eltern, ohne daß dabei „die Prinzipien der Aufklärung über Bord gehen“, das heißt, ohne daß sie in irrationale Kämpfe um die Kinder verfallen – auch gut, dann werden sie schon eine Regelung finden, wie sie ihre Elternschaft zum Wohle der Kinder weiterhin organisieren. Der Regelfall, und davon schreibt auch Christian Gampert, scheint das gerade nicht zu sein. Vielmehr gebärden sich erwachsene Menschen wegen der Trennung von einem/r Lebenspartner/in plötzlich wie kleine Kinder, denen jemand im Sandkasten die Schaufel wegnimmt. Hat da die Aufklärung versagt? Oder ist es vielleicht ganz menschlich, daß der Weg zu einer einvernehmlichen Lösung des „Elternproblems“ ein harter, steiniger, mit vielen Verletzungen und Kompromissen verbundener Gebirgspfad ist? Das ist zumindest meine Erfahrung, die nicht gerade eine Erfahrung von Erfolg ist. [...] Gleichberechtigung zwischen Müttern und Vätern kann man halt nicht per Gesetz herstellen, sondern nur auf der persönlichen Ebene. Wo das nicht möglich ist, ist ein „Ende mit Schrecken“ für ein Kind allemal besser als ein „Schrecken ohne Ende“. Anke Wagner, Greifswald

Wes Geistes Kind der Autor ist, zeigt sich im Laufe seiner Argumentation. Daß vor allem Männer und nicht – wie in seinem Artikel behauptet – Frauen Gefahr laufen, im Konfliktfall auf ihren „Rechten“ zu beharren statt nach kommunikativen Lösungen zu suchen, beweist einmal mehr der Autor selbst. Sein Vorschlag: Männer sollten die Bundesrepublik auf Schadenersatz verklagen, denn sie sind in ihrer Freizügigkeit stark eingeschränkt.

Wer aus Berufsgründen in eine andere Stadt zieht, wird automatisch sein Kind verlieren. „Denn Mutti hat das Sagen.“ Was eigentlich stellt sich der Autor vor, wird in einer solchen Konfliktsituation (automatisch?) leichter, wenn (uneheliche) Eltern ein gemeinsames Sorgerecht ausüben? Sollten Väter ihre – meist selbst berufstätigen – (Ex-)Partnerinnen kraft des Sorgerechts dazu zwingen können mitzuziehen? Sollten die Kinder pendeln? Oder sollte man Kinder der Einfachheit halber lieber den von ihm albern als „Mutti“ bezeichneten Frauen entreißen?

Und: Warum eigentlich sollte eine verantwortungsvolle Mutter, die bis zu seinem Jobwechsel den Kontakt zum Vater aufrechthielt, plötzlich selbigen unterbinden? In der nur scheinbar sachlichen Berichterstattung Gamberts kommen jedoch verantwortungsbewußte Mütter nicht vor. Statt dessen schiebt er ihnen die Verantwortung für ein reales Problem zu, mit welchem in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit viele Familien zu kämpfen haben. Daß er selbst einzig die egoistische Durchsetzung der Interessen des Vaters und nicht etwa die des Kindes, welches sich seinem Wohnort ja vielleicht auch verbunden fühlt, und schon gar nicht die Belange seiner ehemaligen Partnerin im Auge hat, wird in seiner Argumentation auf gnadenlose Weise deutlich! Wohin soll die neue Gesetzgebung führen, fragt Gambert besorgt, und ich denke: Prima Sache, das neue Kindschaftsrecht. Christel Degen, Sozialwissenschaftlerin, Berlin