Grenzkonflikt am Horn von Afrika

Äthiopien und Eritrea streiten sich um rohstoffreiches Grenzgebiet. Eritreische Armee erkennt Grenzziehung nicht an und besetzt abgestecktes Gebiet. In Addis Abeba werden Träume vom Großäthiopien wieder wach  ■ Von Wolbert Smidt

Berlin (taz) – Am Mittwoch sind erneut heftige Kämpfe zwischen Eritrea und Äthiopien im Grenzgebiet um Ambesete Geleba und Salambessa aufgeflammt. Nach eritreischen Angaben erfolgte ein Angriff durch äthiopische Panzer. Der äthiopische Rundfunk warf Eritrea im Gegenzug vor, drei Zivilisten verschleppt und anschließend öffentlich hingerichtet zu haben. Vergangenen Montag meldete Äthiopien Angriffe durch eritreische Truppen bei Bada, die inoffiziell von Eritrea bestätigt wurden. Ende Mai konnten äthiopische Truppen am Grenzfluß Setit etwa die Hälfte des seit Mitte Mai eritreisch besetzten Gebietes um die Kleinstadt Badime zurückerobern.

Seit drei Wochen kommt es an zahlreichen Stellen der weit über 1.000 Kilometer langen Grenze zwischen Eritrea und Äthiopien immer wieder zu Gefechten. Seit sich die frühere italienische Kolonie Eritrea 1991 von Äthiopien losgesagt hat, konnte der Grenzverlauf zwischen der nordäthiopischen Provinz Tigray und Eritrea nie geklärt werden, obwohl Eritrea bereits letzten November mit der Einführung einer eigenen Währung seine Unabhängigkeit endgültig besiegelte.

Äthiopien unterbrach als Reaktion darauf den Handelsverkehr, von dem die Menschen in der eritreischen Grenzregion leben. Äthiopische Milizen begannen die Grenzen zu befestigen. Im Gebiet um Badime – einem fruchtbaren und bodenschatzreichen Landstrich – wurden kleine, von Eritrea eingesetzte Dorfverwaltungen gewaltsam aufgelöst.

Am 6. Mai kam es zu einem ersten Schußwechsel zwischen den Soldaten beider Seiten. Eine bis dahin geheim tagende gemeinsame Kommission zur Klärung der Grenzfragen stellte sofort ihre Arbeit ein. Nur eine Woche später folgte ein eritreischer Großangriff mit bis zu 80 Toten. Die Truppen des Generals Omer Tawil stießen weit in bisher von Äthiopien verwaltetes Gebiet vor. Die Regierung in Addis Abeba sprach von einer „eritreischen Invasion“ und drohte mit „entsprechenden Gegenmaßnahmen“.

Der Konflikt nahm seinen Lauf: Am 13. Mai wurde der Flugverkehr zwischen beiden Ländern eingestellt. Am 22. Mai brachen fast alle Telefonverbindungen zusammen. Die texanische Ölfirma Anadarko zog ihr Personal aus dem Grenzgebiet ab. In der letzten Maiwoche verdoppelte sich wegen des äthiopischen Handelsboykotts der Getreidepreis in der eritreischen Hauptstadt Asmara. Äthiopien, das mit der Unabhängigkeit Eritreas zum Binnenland wurde, leitete den gesamten Warenverkehr vom eritreischen Hafen Asseb nach Dschibuti um. In der vergangenen Woche meldeten sich täglich eritreische Freiwillige, um sich der Armee anzuschließen – unter ihnen allein in Asmara 3.000 ehemalige Guerillakämpfer. Von Äthiopien aus bewegen sich rund 140.000 Soldaten auf die Grenzregion zu, auf eritreischer Seite sind bereits bis zu 200.000 stationiert.

Tatsächlich gehörte die jetzt von Eritrea beanspruchte Region zur italienischen „Colonia Eritrea“, doch ihre Bevölkerung stammt aus beiden Ländern. Den Vorschlag Eritreas, die umstrittenen Gebiete zu demilitarisieren und ein Drittland als Vermittler einzuschalten, lehnte Addis Abeba trotz entsprechender Angebote seitens der USA, Dschibutis, Ruandas, Ägyptens, Libyens und der Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) kategorisch ab. Wer den anderen überfalle, könne keine Demilitarisierung fordern, erklärte der äthiopische Außenminister Seyoum Mesfin und drohte mit Krieg, solle Eritrea sich weigern, den Status quo ante wiederherzustellen. Das Gefecht im nur rund 30 Kilometer vom Roten Meer entfernt liegenden Bada-Gebiet bestätigt wiederum alte eritreische Ängste, das übermächtige Äthiopien könne von dort aus Eritrea in zwei Hälften zerteilen.

Das Gefühl der Verletzbarkeit bestimmt die eritreische Politik: Eritrea vertraut nicht mehr auf die Wirksamkeit seines eigenen Plans, den Konflikt durch die Vermittlung Dritter oder durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu lösen. Solange Äthiopien nicht garantiere, nicht auf das umstrittene Gebiet nachzurücken, bliebe das eritreische Militär in seinen eroberten Stellungen. Das Mißtrauen aus 30 Jahren Befreiungskrieg gegen das Selassie- und Mengistu-Äthiopien ist trotz der siebenjährigen entspannten Beziehung bestimmender Faktor der Politik geblieben.

Die innenpolitische Funktion des Konflikts wird für allem für Äthiopien offensichtlich: Zunächst schien es, als ob die Provinzverwaltung von Tigray ohne Wissen der äthiopischen Zentralregierung in Addis Abeba begonnen hatte, die Grenze zu befestigen, um damit die schleichende Entmachtung des Präsidenten und die Schwäche der föderalen Struktur des neuen Äthiopien unter Beweis zu stellen. Die Rechnung ging nicht auf.

Wie bereits im Konflikt um den grenzüberschreitenden Devisen- und Warenverkehr konnte Präsident Meles Zenawi zeigen, daß er bereit sei, die äthiopischen Interessen zu verteidigen. Die Stimmen, die ihn als „Kreatur Eritreas“ ablehnen, verstummen angesichts des militärischen Muskelspiels zusehends. Eritrea, dessen Freiheit und eigenständige Politik eine ständige Erinnerung an das gescheiterte Großäthiopien ist, wird so zu einem alle vereinenden Gegner.