RWE-Geburtstag: 100 Jahre strahlend weiße Weste

■ Mit Milliarden aus dem Stromgeschäft hat sich RWE zum Global Player gemausert

Berlin (taz) – Mit einem Festakt wird heute der Großkonzern Rheinisch-Westfälisches-Elektrizitätswerk AG (RWE) in Essen sein hundertjähriges Firmenjubiläum feiern. Das „Geschenk an die Gründerstadt Essen“ hatte zuvor schon Multikünstler André Heller für 35 Millionen Mark im RWE- Auftrag gebaut – ein Kino- und Lichtspektakel auf 15.000 Metern umbautem Raum. RWE-Chef Dietmar Kuhnt bezeichnete Hellers Werk als „Oase der Ruhe und Kraft inmitten einer alten Industrielandschaft“.

Der vom Stadtwerk in Essen zum Global Player und fünftgrößten deutschen Konzern aufgestiegene Energieversorger RWE macht seit Jahren durch spektakuläre Konzernaufkäufe Schlagzeilen: Zum Außenumsatz von 72 Milliarden Mark pro Jahr tragen inzwischen neben dem Strom-, Gas- und Wärmegeschäft Konzerntöchter wie der Mineralölriese DEA, der Baukonzern Hochtief, der Braunkohlen-Marktführer Rheinbraun sowie Chemie-, Druckmaschinen- und Abfallkonzerne bei. Der RWE-Umsatz stieg mittels weltweiter Unternehmensaufkäufe in den vergangenen zehn Jahren um das Dreifache.

Doch die RWE-Expansionen werden über die Stromrechnungen privater Haushalte finanziert, während Konzerngewinne ausschließlich den RWE-Aktionären zugute kommen. Lutz Mez, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, kritisiert diesen Zustand seit Jahren: „Die Cash Cow des RWE ist das Stromgeschäft. Jedes Jahr überweist die RWE-Energie AG dem Mutterkonzern den größten Gewinnanteil aller Konzerntöchter, obwohl der Energiesektor nur noch ein Drittel des Gesamtumsatzes ausmacht.“ Mez hält die „Kriegskasse von rund 40 Milliarden Mark“, die RWE von den Stromkunden für den zukünftigen Abriß der Atomkraftwerke eingesammelt hat, als „strategische Basis für die internationale Expansion“.

Beim heutigen Festakt werden die Themen Cash Cow und Atomenergie allerdings vermieden. Eine Konzernsprecherin erklärte, der jüngste Atomskandal werde von RWE-Chef Dietmar Kuhnt nicht angeschnitten. Unabhängig davon wirft das Strafverfahren, daß inzwischen gegen das RWE-Tochterunternehmen Nukleare Transportleistungen GmbH (NTL) eingeleitet wird, einige Schatten auf die Veranstaltung, zu der sich neben Helmut Kohl auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement angekündigt hat. Zu erwarten ist, daß Clement zum jüngsten Verkauf der kommunalen Stimmrechtsmehrheit am RWE-Konzern Stellung bezieht. Aus Geldmangel ließen sich die städtischen RWE-Aktionäre im April ihr 20faches Stimmrecht, daß ihnen seit den zwanziger Jahren eingeräumt wurde, für 1,45 Milliarden Mark vom RWE-Konzern abkaufen. Inwischen plant RWE weitere Coups: „RWE treibt die Übernahme des größten deutschen Baukonzerns Holzmann voran. Nur das Kartellamt stellt sich noch quer. In der Telekomwirtschaft und der Abfallbranche geschieht das gleiche“, so Lutz Mez. Peter Sennekamp

Lutz Mez: „Ein Riese mit Ausstrahlung“. Kiepenheuer & Witsch, 1996