Bahn AG drosselt das ICE-Tempo

■ Die Züge dürfen bis zur Klärung der Unfallursache nur noch 160 Stundenkilometer fahren. Alle ICE werden zudem technisch untersucht

Als Schuldanerkennung wollte die Deutsche Bahn AG gestern ihre Sofortmaßnahmen keineswegs verstanden wissen. „Wir handeln rein vorsorglich aus Verantwortung für die Sicherheit unserer Kunden“, sagte gestern der Sprecher Fernverkehr der Bahn, Martin Katz. Er fügte hinzu, daß man die Ursachen der Katastrophe bei Celle weiterhin nicht kenne. Seit gestern mittag dürfen die ICE nur noch maximal 160 Stundenkilometer fahren, statt wie bisher auf einzelnen Streckenabschnitten 250 Stundenkilometer. Außerdem ordnete die Bahn AG eine technische Sonderuntersuchung aller ICE an, die schon in der vergangenen Nacht an den Endpunkten der ICE-Strecken durchgeführt werden sollte.

Das Tempo 160 für die Hochgeschwindigkeitszüge soll gelten, bis die Ursachen des Unglücks bei Eschede geklärt sind. DB-Sprecher Katz wies gestern alle Versuche, die möglichen Ursachen des Unglücks zumindest einzugrenzen, als „Spekulationen“, zurück.

In der Sonderuntersuchung der ICE sollten vor allem die Komponenten der Züge überprüft werden, die Kontakt zum Gleis haben, sagte Martin Katz. Also Räder und Drehgestelle. Seit man nicht mehr von einem Autounfall auf der zertrümmerten Brücke als Unglücksursache ausgehen kann, ist automatisch der Zustand des Zugs und des Gleiskörpers der Strecke in den Mittelpunkt des Interesses der Ursachenkommission gerückt, die das Unglück aufklären soll.

Wegen der gravierenden Folgen auf den bundesdeutschen Schienenverkehr hatte die Deutsche Bahn gestern gezögert, ein Tempolimit zu verhängen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung sei zwar nicht gänzlich auszuschließen, mache aber keinen Sinn, solange man bei den Unglücksursachen noch im dunkeln tappe, hatte DB-Sprecher Katz noch gestern morgen als Auskunft gegeben. Gestern mittag bat er dann die Kunden der Bahn um Verständnis für unvermeidliche Beeinträchtigungen im Reiseverkehr und dafür, daß die Bahn nun keinerlei Gewähr für Anschlüsse mehr bieten könne. Erfahrungen mit den Auswirkungen einer solchen „bisher einmaligen Maßnahme“ hat die Bahn natürlich nicht. Sie konnte nur hoffen, „daß nun nicht das Chaos ausbricht“.

Natürlich bringt die Geschwindigkeitsbegrenzung die Fahrpläne tüchtig durcheinander. Normalerweise fahren die Hochgeschwindigkeitszüge im festen Zeittakt hin und her. Verspätungen können sich zu Stunden aufsummieren. Es gibt bei der Bahn nicht nur Fahrpläne mit genauen Abfahrts- und Ankunftszeiten für die Bahnhöfe, sondern natürlich auch Pläne für die Trassenbelegungen, dafür, wann welche Strecke für welchen Zug frei sein muß. Wie die Fahrpläne müssen jetzt auch diese Pläne für die ICE-Strecken auf einen Schlag umgeschrieben werden. DB-Sprecher Katz hoffte dabei gestern auf die Einsatzbereitschaft der Bahn-Mitarbeiter und auf deren Improvisationstalent. Er gehe davon aus, daß die Mitarbeiter alles tun werden, um die Verspätungen in Grenzen zu halten.

Derweil erklärte die Siemens AG, daß sie an ihren ICE-Vorhaben festhalten werde. Gegenwärtig führt der Konzern ein Firmenkonsortium an, das 50 Hochgeschwindigkeitszüge der inzwischen dritten Generation baut. Diese Serie ist für Reisegeschwindigkeiten von 330 Kilometer pro Stunde ausgerüstet. Jürgen Voges