Die Farbe Lila

„Die Frau schweige in der Gemeinde“, heißt es immer noch in der katholischen Kirche. Viele Frauen haben frustriert die Mutter Kirche verlassen. Andere allerdings setzen auf eine Graswurzeltaktik, um der Männerkirche Machtpositionen abzuringen  ■ Von Bernhard Pötter

Der Brief erreichte seine Adressaten nicht. Als Angelika Fromm beim Herbsttreffen 1997 der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda den Oberhirten schriftlich die Frauenfrage stellen wollte, rauschten die Limousinen mit den deutschen Bischöfen ohne Halt an ihr vorbei. Kein Wunder: Der lila Briefumschlag, die lila Stola über Fromms Schultern und die kleine Gruppe von Demonstrantinnen auf dem Domplatz erinnerten die Oberhirten an etwas Unangenehmes: an ihr schlechtes Gewissen.

Denn die Gretchenfrage der katholischen Kirche nach der Berufung von Frauen zum Priesteramt bleibt ohne Antwort. Obwohl bereits das Zweite Vatikanische Konzil 1965 die Beseitigung der Diskriminierung nach dem Geschlecht forderte, weil diese „dem Plan Gottes widerspricht“, schweigt der Vatikan.

Seit dreißig Jahren predigt die römische Glaubenszentrale der Welt die soziale und wirtschaftliche Gleichheit von Frauen und Männern. Doch in seinen eigenen Reihen bleibt der Klerus unerbittlich. Nach wie vor gilt das Wort des Apostels Paulus: „Die Frau schweige in der Gemeinde.“

Papst Johannes Paul II. hat in dieser Frage ein Denkverbot verhängt. 1994 bestätigte er im Apostolischen Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ die Ablehnung der Frauenweihe. Er rückte das Verbot der Frauenordination in die Nähe eines dogmatischen Glaubensgrundsatzes, der nicht anzuzweifeln ist.

Doch mit dieser Dialogverweigerung will sich die Kirchenbasis nicht mehr abfinden. In den Gemeinden und katholischen Verbänden in Deutschland sind Frauen längst gleichberechtigt – und wenn es um die Verteilung der Arbeit geht, sogar überrepräsentiert.

Denn die Männerkirche ist eigentlich eine Frauenkirche, fand 1993 das Allensbach-Institut in der Untersuchung „Frauen und Kirche“ im Auftrag der deutschen Bischöfe heraus: Frauen stellen die Mehrheit der Gläubigen, Kirchgänger und Ehrenamtlichen. „Ohne uns Frauen wäre die Kirche längst tot“, ist die selbstbewußte Stimmung an der Basis.

Die Forderung nach der Weihe von Frauen – wie in der altkatholischen Kirche bereits Usus – gehörte dann auch 1995 ganz selbstverständlich zu den fünf Ansinnen des „Kirchenvolksbegehrens“, das in Deutschland 1,8 Millionen Menschen unterschrieben – ohne meßbare Resonanz im Vatikan.

Trotzdem wollen die Frauen von der „Aktion lila Stola“ nicht lockerlassen: Bei öffentlichen Anlässen wie Bischofskonferenzen oder Priesterweihen tauchen sie mit ihrer Stola auf und fordern die Weihe zur Priesterin – wobei die Farbe Lila die Frauenbewegung signalisiert und zugleich die Kirchenfarbe der Umkehr und der Buße. Etwa hundert ausgebildete Theologinnen in Deutschland stehen auf Abruf zur Weihe bereit, erklärt Annegret Laakmann von der Initiativgruppe.

Dem eisigen Schweigen aus Rom setzen viele Frauen ein „entschlossenes Trotzdem“ entgegen, meint Annette Rieks, die Generalsekretärin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd). Nach ihrer Erfahrung werden Frauen in der Kirche zwischen dem Zugelassenen und dem Verbotenen zu „Grenzgängerinnen, die entweder überwintern oder ihre Spielräume ausloten“. Sie setzt auf die Gemeinden – in denen bewege sich eine Menge, wenn Frauen nach der „Graswurzelstrategie“ vorgehen: Positionen besetzen und nicht mehr räumen.

Bisher habe zum Beispiel die spirituelle Führung des kfd traditionell einem Priester oblegen, so Rieks. Dann wurde eine Frau in dieses Amt gewählt, das die Amtskirche – auch wegen des akuten Priestermangels – den Frauen nun nicht mehr streitig mache. „Inzwischen wirken viel mehr Frauen in geistlichen Positionen, als allgemein bekannt“, sagt Rieks.

Für Annegret Laakmann ist die Frauenfrage Gradmesser für den allgemeinen Veränderungswillen der katholischen Kirche. „Im heutigen System sind Frauen als Priesterinnen nicht möglich. Wenn also Frauen geweiht werden können, würde das eine andere Kirche bedeuten, die viel weniger patriarchalisch und frauenfeindlich als heute ist“, hofft Laakmann. Sie führt einen Kampf für die nächsten Generationen: „Vielleicht ist es in fünfzig Jahren soweit. Ich werde es jedenfalls nicht mehr erleben.“

Die katholische Frauenbewegung hat es indes geschafft, das Thema Gleichstellung zu einem Essential der Kirche zu machen – wenn die Forderung nach außen zielt. Im „Gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage“ von 1997 etwa liest die katholische Kirche mit der evangelischen Schwesterkirche dem Staat die Leviten: „Es ist die Aufgabe einer sozial verpflichteten und gerechten Wirtschaftsordnung, allen Männern und Frauen, die dies brauchen und wünschen, den Zugang und die Beteiligung an der Erwerbsarbeit zu eröffnen.“ An eine Realisierung dieser Forderung in ihrem eigenen Haus, einem der größten Arbeitgeber des Landes, denken die Bischöfe nicht.

Das liegt auch an der Angst vor einem Rüffel aus Rom. Die „Laieninstruktion“ des Vatikan verurteilte 1997 praktisch vor allem die Mitarbeit von Frauen in den Gemeinden. In der Theologie sind feministische Ansätze akzeptiert, wenn sie nicht an den Fundamenten der Männerkirche rütteln. Ansonsten ist es gefährlich, dort zu forschen und zu lehren: „Ganz schnell winkt ein Lehrbeanstandungsverfahren und damit eine Existenzbedrohung“, heißt es aus den Fakultäten.

Was bleibt, ist oft der stille Exodus aus der Kirche. Die dauernde Kränkung nähmen viele Frauen nicht hin, meint Laakmann. „Viele von den Frauen mit der Wut im Bauch aus den achtziger Jahren sind inzwischen weg.“ Manche Frauen suchen sich ihre eigenen religiösen Gemeinschaften abseits der Pfarrgemeinde oder verwirklichen ihren Anspruch von Nächstenliebe inzwischen ohne kirchliches Etikett. „Man kann ja auch im Namen des Roten Kreuzes Menschen helfen.“

Für kfd-Generalsekretärin Rieks zeigt sich eine „Kirchenspaltung zwischen denen, die die Ausgrenzung von Frauen aushalten, und denen, die das nicht mehr ertragen können und die Kirche verlassen“.

Doch auch den Bischöfen an der Spitze der Kirche scheint der Verlust der Frauen und ihrer Arbeitskraft nicht gleichgültig. Denn bereits bei der Arbeiterbewegung zum Beginn des Jahrhunderts und beim Aufbruch der Jugend in den sechziger Jahren haben die deutschen Kirchenfürsten eine gesellschaftliche Entwicklung ignoriert und durch den Verlust von AnhängerInnen und Finanzmitteln gesellschaftlichen Einfluß eingebüßt.

Laut Allensbach-Studie sind heute nur noch 25 Prozent der Katholikinnen „sehr eng“ mit der Kirche verbunden – 1980 waren es noch 40 Prozent. Die konservativen Meinungsforscher sind alarmiert: „Die künftige Vitalität der Kirche hängt entscheidend davon ab, ob sie gerade auch von jungen Frauen als Dialogpartner akzeptiert wird.“