■ Soundcheck
: Chris Peckins jr. und Dandy Ro / ADD N TO X, Kreidler

Heute abend: Chris Peckins jr. und Dandy Ro. Es gibt Menschen, für die gibt es nur Schallplatten – sonst nichts. Das Problem: Das notwendige Geld für gewissenhaftes Plattensammeln wird nicht verschenkt. Die Problemlösung: unentfremdete Arbeit im Plattenladen, am besten im eigenen – der Weg des Chris Peckings. Peckings, geboren und aufgewachsen in Jamaika, kam nach England und wurde 1974 unversehens zur geschichtsträchtigen Person, indem er das erste Plattengeschäft Europas ausschließlich für Reggae eröffnete. Seit seiner Zeit in Jamaika war er eng mit Clemens „Cossone“ Dodd befreundet, dem späteren Gründer der Plattenfirma Studio One, die für Reggae etwa die Rolle spielt, die einst Motown für Soul zukam. Peckings verfügte aber nicht nur über exzellente Verbindungen ins musikalische Mutterland, er muß auch ein geduldiger Berater gewesen sein. David Rodigan, der als Radio-Reggae-DJ seit rund 20 Jahren missioniert, erinnert sich: „Von Ska über Rock-Steady bis Reggae, Sammler aus der ganzen Welt begaben sich auf die Pilgerfahrt zu Daddy Peckings.“ Sein Tod durch einen Herzinfarkt war „ein schwerer Verlust für die Welt der Reggae-Musik“ (Rodigan). Längst aber waren die Nachfolger angelernt, seine Frau und die vier Söhne führen das Traditionsgeschäft fort.

Auf Einladung des Reggaeaktivisten Hans Peters werden heute Daddy Peckings Sohn Chris Peckings jr. sowie einer der führenden Studio One-Spezialisten, Dandy Bo, hochobskures und supergediegenes Material auflegen. Plattensammler bei der Freizeit. Nils Michaelis

Sa, 22 Uhr, Westwerk

Gehört: ADD N TO X, Kreidler. Man hätte es zumindest ahnen können. Denn auf dem Cover von On The Wires Of Our Nerves stehen ADD N TO X im Operationssaal, wo die Keyboarderin Anne Shenton mit ihren beiden Geburtshelfern ein blutverschmiertes Keyboard zur Welt bringt. Genauso rauh und instinktiv präsentierte sich das Trio, ergänzt um den Stereolab-Schlagzeuger, auch live im Hafenklang. Verworfene Kinderlieder neurotisierten Noise-Electro, der jeder Beschreibung spottet.

Nach diesen Soundberserkern mußten die gepflegten Herren von Kreidler natürlich erstmal das Tempo herausnehmen. Aber Stoizismus, Überdruß und absoluten Stilwillen kann das Quartett aus Düsseldorf vertonen wie es nur die britischen Elektropop-Bands der 80er vermochten. Große Gefühle und kalte Sounds. Und immer hatte man das angenehme Gefühl, daß etwas fehlt - eine Art Leerstelle des Popwissens, die man selber auffüllen kann. Doch bevor dem Megamix des Kreidlerschen Werks im steifen Kragen die Luft ausging, bevor Stil die Persönlichkeit endgültig zum Verschwinden brachte, fanden sie die nötige Selbstdistanz zum rastlosen Improvisieren über eigene Themen. Immer mit Haltung, natürlich. vom